Was, wenn morgen Faschismus ist?

Shownotes

Heute sprechen wir über Faschismus und das hoffentlich zum letzten Mal. Wir wollen wissen, was wir tun können, wenn der Worst Case eintritt, so wie wir es in den USA live miterleben. Was ist das für ein Leben im Faschismus? Wie wird man ihn wieder los?

Hoffnung ist gut - vorbereitet sein ist besser!

Wir reden heute darüber, damit wir nicht in Schockstarre verfallen, falls es wirklich so weit kommen sollte. Damit wir schon Modelle und Szenarien haben. Damit wir nicht ständig überwältigt und sprachlos sind, sondern uns sagen können: "Ich weiß, was ich tun kann und wo ich Hilfe finde.“

Danke an alle, die uns unterstützen

Wind und Wurzeln ist und bleibt unabhängig - dank euch! Eine neue Folge gibt es immer dann, wenn genug zusammengekommen ist. Entweder direkt an hauseins oder über Steady.

Links und Hintergründe

„Wind und Wurzeln“ ist eine Produktion von hauseins. Redaktion: Katrin Rönicke und Marina Weisband. Schnitt und Sound Design: Oliver Kraus. Am Mikrofon war Marina Weisband.

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Marina: Hallo liebe Menschen, wir haben endlich genug Geld gesammelt,

Marina: ich habe ein besseres Mikro und hier ist die zweite Folge Wind unter Wurzeln.

Marina: Wir sprechen in diesem Podcast über die Weltlage jenseits all des Lärms der

Marina: Medien und wir wollen uns hier den Raum nehmen, in echte Analyse zu gehen,

Marina: durchzuatmen und Probleme an der Wurzel anzugehen.

Marina: Also macht es euch gemütlich, nehmt euch eine Tasse warmes Getränk,

Marina: atmet noch einmal ruhig ein und aus und dann legen wir los.

Marina: Wir sprechen heute über Faschismus und es ist die zweite und wahrscheinlich

Marina: letzte Folge dieses Podcasts, in der wir über Faschismus sprechen.

Marina: Denn das Sprechen über Faschismus, als sei es sicher, dass er morgen kommt,

Marina: stärkt ihn natürlich auch.

Marina: Es macht ihn teilweise mächtiger, als er ist.

Marina: Da ist eine delikate Waage, die man halten muss zwischen dem Ernstnehmen ernster

Marina: Probleme und einer Verzagtheit, sich ihnen völlig auszuliefern.

Marina: Immerhin entwickelt sich der Faschismus in den USA gerade so rasant.

Marina: Dass es ein völlig realistisches Szenario ist, dass alle anderen Länder abgeturnt

Marina: sind und die AfD in ein paar Jahren hierzulande unter die 5%-Hürde rutscht.

Marina: Nochmal, das ist nicht unrealistisch. Und es ist meine Pflicht, darauf zu hoffen.

Marina: Aber es ist auch meine Pflicht, mich während des Hoffens auf den Worst Case vorzubereiten.

Marina: So funktioniert einfach verantwortungsbewusster Umgang mit Problemen.

Marina: Ich lasse mich nicht davon einnehmen, aber ich blende sie nicht aus.

Marina: Viele Menschen in diesem Land haben gerade Angst, dass wir auf dem Weg in den Faschismus sind.

Marina: Und als Psychologin kann ich nur sagen, Ängsten muss man sich stellen.

Marina: Das ist, wie man ihrer Herr wird.

Marina: Das bedeutet, wir reden heute darüber, damit wir nicht in Schockstarre verfallen,

Marina: falls es wirklich so kommen sollte.

Marina: Damit wir schon Modelle und Szenarien haben. Damit wir nicht ständig überwältigt

Marina: und sprachlos sind, sondern sagen können, ah, zu diesem Zeitpunkt sollte ich

Marina: Folgendes machen und das ist, wo ich Hilfe finde.

Marina: Wie eine Feueralarmübung.

Marina: Ihr sollt aus dieser Folge beruhigt, gestärkt, zuversichtlich und handlungsfähig rauskommen.

Marina: Und ein weiterer Vorteil von Vorbereitung auf den Faschismus.

Marina: Wenn wir das alles heute schon tun, dann wächst die Chance, dass wir gar nicht

Marina: erst in den Faschismus hineingeraten.

Marina: Die Realität ist, wir sind schon längst über das Wäre den Anfängen hinaus.

Marina: Und wir müssen uns deswegen ganz ehrlich machen.

Marina: Denn solange wir denken, ach, das wird schon nicht passieren,

Marina: solange wir so passive Hoffnung haben und uns als Gesellschaft für resilient

Marina: genug halten, ist das der beste Weg direkt in den Faschismus.

Marina: Das sagt auch der Historiker Timothy Snyder.

00:03:42: If you think we're special, and that means we can't be fascists,

00:03:47: that's really inviting fascism to the door.

00:03:49: Because if you think we can't be fascists because we're so special somehow,

00:03:53: that means that you're not going to see the signs, you're going to ignore the signs.

Marina: Faschismus also, okay. Bevor wir darüber sprechen, wie genau wir von der Demokratie

Marina: in den Faschismus geraten können, wollen wir ganz kurz klären,

Marina: was ich meine, wenn ich von Faschismus rede.

Marina: Ganz oft denkt man ja zuerst an die 30er Jahre, an Mussolini,

Marina: Hitler, klar, Konzentrationslager, Schießungen, Krieg.

Marina: Manche denken vielleicht auch an Spanien und die Franco-Diktatur,

Marina: aber auf jeden Fall Geschichte.

Marina: Faschismus ist Geschichte und genau das ist gefährlich.

Marina: In den letzten Jahren haben immer mehr WissenschaftlerInnen aus den Bereichen

Marina: Politik, Geschichte, Soziologie, Rechtswissenschaft angefangen,

Marina: sich wieder mit Faschismus zu befassen.

Marina: Denn sie sehen Anzeichen für faschistische Ideologien in vielen Ländern der Welt.

Marina: Timothy Snyder, den wir eben gehört haben, ist ein Historiker aus den USA.

Marina: Ece Temelkuran ist eine Juristin aus der Türkei, die aktuell im Exil lebt.

Marina: Und Natascha Strobl, die wir nachher

Marina: noch hören werden, ist eine Politikwissenschaftlerin aus Österreich.

Marina: Sie alle befassen sich aktuell mit dem Faschismus und wie Demokratien sterben.

Marina: Und damit stehen sie in einer guten Tradition.

Marina: Denn mit dem Faschismus beschäftigen sich Menschen schon seit 100 Jahren.

Marina: Einer davon ist Umberto Eco gewesen. Ein italienischer Schriftsteller,

Marina: bestimmt kennt ihr der Name der Rose von ihm, das wurde mit Sean Connery in

Marina: der Hauptrolle verfilmt.

Marina: Und wenn es darum geht zu verstehen, was Faschismus ausmacht,

Marina: dann greife ich am liebsten auf Eccos Ausführungen in Der ewige Faschismus zurück.

Marina: Das war eine Vorlesung, die er am 24. April 95 zum 50.

Marina: Jahrestag der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus an der New Yorker Columbia

Marina: University gehalten hat. In dieser Vorlesung nennt er 14 Punkte,

Marina: die den Faschismus kennzeichnen.

Marina: Und wir haben euch hier die wichtigsten mitgebracht.

00:05:56: Das erste Merkmal, das Umberto Eco nennt, ist der Traditionskult.

00:06:00: Man schaut also in die Vergangenheit und man glaubt, dass dort in der Vergangenheit

00:06:05: bereits alle Antworten liegen.

00:06:08: Fortschritt gibt es in so einem Weltbild natürlich nicht. Darum gehört zum Faschismus

00:06:13: auch zweitens die Ablehnung der Moderne, der Aufklärung,

00:06:18: so etwas wie Menschenrechte, aber eigentlich alles, was sich nach der französischen

00:06:23: Revolution ereignet hat, also auch die Entstehung der liberalen Demokratie.

00:06:28: Ein drittes Kennzeichen sind großes Misstrauen gegen Intellekt und Kultur,

00:06:34: gegen kritische und subversive Kunst und Werke, gegen Tiefsinnigkeit und Denken.

00:06:40: Der Faschismus liebt dafür den Kult und Aktionen, bei denen das Denken eher

00:06:45: ausgeschaltet wird, bei denen es nur um Emotionen geht.

00:06:48: So wie bei den Rallys im Wahlkampf von Donald Trump.

00:07:08: Viertens, Wissenschaftsfeindlichkeit. Faschismus lehnt jede analytische Kritik ab.

00:07:15: Während die moderne Wissenschaft Kritik und Vielfalt begrüßt,

00:07:19: um sich weiterzuentwickeln, lehnt der Faschismus jeden Widerspruch als Verrat

00:07:25: ab. Was zu fünftens führt.

00:07:27: Der Faschismus lehnt jede Vielfalt ab.

00:07:31: Unterschiede werden ausgebeutet. Man spielt mit der Angst der Leuten vor Unterschieden

00:07:37: und Andersartigkeit und darum ist der Faschismus auch immer rassistisch.

00:07:42: Und sechstens, der Faschismus richtet sich an die frustrierte Mittelklasse.

00:07:47: Die sind frustriert, weil zum Beispiel die Eier teurer geworden sind oder weil

00:07:51: man sich nicht mehr so viele Urlaube leisten kann oder weil man das Gefühl hat,

00:07:55: dass ärmere Menschen, BürgergeldempfängerInnen oder MigrantInnen etwas geschenkt bekämen.

Marina: Die Wahl von Donald Trump in den USA wäre nicht möglich gewesen,

Marina: wenn nicht auch viele frühere WählerInnen der Demokraten ihn gewählt hätten.

Marina: Aus Frust über die Inflation, die hohen Lebensmittelpreise und das Gefühl,

Marina: dass das Geld kaum noch reicht.

Marina: Das heißt, obwohl der Faschismus immer rassistisch ist, haben auch viele Schwarze

Marina: und Hispanics Trump dieses Mal gewählt.

Marina: Einfach weil sie frustriert waren und dachten, der würde sie finanziell entlasten.

Marina: Dass sie einen Faschisten wählen, das hatten sie einfach nicht auf dem Schirm.

Marina: Der Faschismus der alten Form,

Marina: den Umberto Eco beschreibt, war auch nationalistisch. Eco sagte, Siebtens.

00:08:41: Den Menschen, die sich einer ausgeprägten sozialen Identität beraubt fühlen,

00:08:46: spricht der Urfaschismus als einziges Privileg das häufigste zu,

00:08:50: im selben Land geboren zu sein.

00:08:52: Das ist der Ursprung des Nationalismus.

00:08:55: Außerdem bezieht eine Nation ihre Identität nur aus ihren Feinden.

00:09:00: Daher liegt an der Wurzel der urfaschistischen Psychologie die Obsession einer Verschwörung.

00:09:07: Am besten einer internationalen Verschwörung. Die Anhänger müssen sich belagert fühlen.

00:09:14: Am leichtesten lässt sich dieser Verschwörung mit einem Appell an den fremden Hass begegnen.

Marina: Und genau das sehen wir heute wieder. Aber es hat sich was geändert.

Marina: Der Faschismus hat die Grenzen der Nation verlassen. Er hat sich global vernetzt.

Marina: Elon Musk unterstützt Alice Weidel, Marine Le Pen wird von Viktor Orban verteidigt,

Marina: Javier Milley wird von Giorgia Meloni persönlich zum italienischen Staatsbürger

Marina: ernannt, ein Argentinier.

Marina: Die Grenzen verlaufen heute also anders. Wie auch die Politikwissenschaftlerin

Marina: Natascha Strobl bei ihrem Talk auf der diesjährigen Republika sagte,

Marina: den wir euch natürlich auch in den Shownotes verlinken.

00:09:53: Der Ethnopluralismus, also die Idee, dass nicht eine Nation die beste ist,

00:09:59: sondern dass jede Nation quasi rein werden muss und zu Blüte kommen muss,

00:10:06: hat den Weg geebnet für eine neue Art des Nationalismus, nämlich dass in Kulturräumen gedacht wird.

00:10:12: Also es geht nicht mehr nur um Österreich, Deutschland, Polen oder was auch

00:10:16: immer, sondern es geht um Europa, den Kulturraum Europa erhalten.

00:10:21: Und das wird jetzt in den 2020er Jahren nochmal erweitert und es geht um die

00:10:27: Räume der weißen Christen zu erhalten.

00:10:31: White Christian Nationalism. Das erlaubt nämlich den Kniff, die USA mit reinzunehmen,

00:10:37: es erlaubt auch den Kniff, Russland mit reinzunehmen. Würde man das den 20.

00:10:42: Jahrhundertfaschisten sagen, dass man auf einmal die USA, Großbritannien und

00:10:46: Russland auch mitmeint, die würden rotieren.

00:10:50: Aber im 21. Jahrhundert muss man auch den Nationalismus neu denken.

Marina: Die Feinde sind übrigens gleichzeitig übermächtig stark.

Marina: Sie sind zum Beispiel reich und stecken hinter etlichen Verschwörungen,

Marina: während sie gleichzeitig schwach und minderwertig sind.

Marina: Das ist Eccos achter Punkt. Man muss Angst vor diesen Feinden haben und sich

Marina: durch sie gedemütigt fühlen, aber muss auch das Gefühl behalten,

Marina: dass man sie jederzeit besiegen könnte.

00:11:18: Neuntens. Umberto Ecco spricht von einem Armageddon-Komplex.

00:11:22: Damit ist gemeint, dass sich die Faschisten eine endgültige Schlacht wünschen.

00:11:27: Einen Tag X, an dem sie ihre Feinde endgültig besiegen.

00:11:33: Gleichzeitig darf aber der Krieg im Faschismus nie enden, was in sich ein Widerspruch ist.

00:11:40: Wie Eko sagt, keinem faschistischen Führer ist jemals die Lösung dieses Problems gelungen.

Marina: Überhaupt, Faschismus verstrickt sich ständig in Widersprüchen.

Marina: Aber wir haben in der ersten Folge ja schon festgestellt, dass das den AnhängerInnen egal ist.

Marina: Und weil man ihn nicht kritisieren darf, erübrigt sich das auch.

Marina: Der Führer ist unfehlbar. Wenn trotzdem etwas schief geht, dann muss das auf

Marina: das Konto der Feinde gehen.

Marina: Weitere Merkmale nach Eko sind Heldenkult, Todeskult, Machismo,

Marina: Kriegsrhetorik und das Verschmelzen zu einem Volk, in dem das Individuum nichts

Marina: mehr zählt. Siehe Russland.

Marina: Natascha Strobl ergänzt diese schon recht lange Liste in ihrem Vortrag mit einem

Marina: wichtigen Kennzeichen des Faschismus.

Marina: Gewalt und Freude an der Gewalt.

00:12:29: Faschismus herrscht auf Terror. Und was Terror bewirkt, vor allem wenn er von

00:12:35: Staats wegen kommt, ist, dass das Leben nicht planbar wird.

00:12:38: Dass man nicht weiß, wie der nächste Tag aussieht.

00:12:43: Die Regeln gelten mal so, mal so. Und die Launen und die Befindlichkeiten einer

00:12:48: Person oder einer Gruppe von Personen werden zum Ideal.

00:12:51: Die Bedingung dafür ist, dass man die neutralen Institutionen des Staates,

00:12:56: dass alle diese Institutionen, die für ein prozessorientiertes Handeln des Staates

00:13:02: stehen, zerstören müssen. Vor allem die Gerichtsbarkeiten.

Marina: Okay, ich hoffe, ihr habt eine ungefähre Vorstellung davon bekommen,

Marina: wie es im Faschismus ist.

Marina: Wie gesagt, man kann leider aktuell den USA live dabei zuschauen,

Marina: wie er dort immer weiter ausgebaut wird.

Marina: Und wir können von den USA lernen, wie wir im Faschismus landen.

Marina: Aber nicht nur dort. In vielen autokratischen Regimen, denen wir in den letzten

Marina: Jahrzehnten live beim Entstehen zuschauen konnten, sind die heutigen Herrscher

Marina: oft mit den Mitteln der Demokratie an die Macht gekommen.

Marina: Denken wir an Beispiele in Europa. Gerade

Marina: wurde in Polen wieder ein rechtsnationalistischer Präsident gewählt.

Marina: Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban ist ursprünglich einmal in einer

Marina: Demokratie gewählt worden.

Marina: Genauso war es in der Türkei, in Argentinien und, und, und.

Marina: Das ist auch das wahrscheinlichste Szenario hier bei uns.

Marina: Klar, es gibt auch Gruppen wie die Patriotische Union um Heinrich XIII,

Marina: Prinz Reus, eine Gruppe von sogenannten Reichsbürgern, die tatsächlich einen

Marina: Staatsstreich geplant haben.

Marina: Sie wurden bei einer Razzia hochgenommen im Dezember 2022.

Marina: Und dabei wurden 25 Menschen festgenommen.

Marina: Seitdem wird gegen fast 70 mutmaßliche Beteiligte ermittelt.

Marina: Aber auch, wenn davon sicherlich einige träumen, ein Staatsstreich ist in Deutschland

Marina: gar nicht so einfach durchzuführen.

Marina: Viel einfacher kann sich der Faschismus bei uns, wie auch damals,

Marina: mit den Mitteln der Demokratie an die Macht bringen.

Marina: Er muss nur eine hinreichende Zahl von Menschen davon überzeugen,

Marina: dass im Moment alles scheiße läuft,

Marina: dass daran alle anderen Parteien schuld seien, die man Altparteien nennt,

Marina: und dass es im Land nur dann wieder gut gehen wird, wenn es einen richtigen Neustart bekommt.

Marina: Wenn einer es mal ganz anders macht als die anderen.

Marina: Genau das hatte auch Donald Trump seinen AnhängerInnen versprochen.

00:15:03: The golden age of America begins right now.

00:15:15: From this day forward, our country will flourish and be respected again all over the world.

00:15:21: I will very simply put America first.

00:15:34: Our sovereignty will be reclaimed. Our safety will be restored.

00:15:41: The scales of justice will be rebalanced. Amen.

Marina: Das sagte Trump während seiner Antrittsrede am 20. Januar 2025.

Marina: Und damit wiederholte er nur all die Versprechen und Phrasen,

Marina: die auch schon seinen ganzen Wahlkampf geprägt hatten.

Marina: Faschisten kommen mit Bullshitting an die Macht. Mit Lügen, Verschwörungserzählungen,

Marina: die so plausibel klingen, dass viele darauf reinfallen.

Marina: Sie werden gewählt, weil sie angeblich die einzigen sind, die uns aus einer

Marina: schlimmen Lage befreien können.

Marina: Redet mal mit jungen Leuten, die AfD gewählt haben. Oder schaut mal die Doku

Marina: Plötzlich Volkspartei von Olaf Sundemeier an, der in Brandenburg unterwegs war

Marina: und AfD-WählerInnen getroffen hat.

Marina: Oder lest euch das Buch zu Besuch am rechten Rand Warum Menschen AfD wählen

Marina: von Sally Lisa Starken durch.

Marina: Verlinken wir euch auch alles in den Shownotes.

Marina: Überall sehen wir Leute, die einerseits Angst haben und sich andererseits endlich

Marina: mal wieder richtig stark fühlen.

Marina: Und das widerspricht sich auch gar nicht.

Marina: An erster Stelle steht bei den AfD-WählerInnen, genau wie bei den Trump-WählerInnen

Marina: übrigens, dass sie denken, dass die AfD endlich was gegen die Migration,

Marina: die vielen Ausländer, die Illegalen tun wird, wenn sie an der Macht ist.

Marina: Die Leute sagen, dass sie sich unsicher fühlen im eigenen Land.

Marina: Wenn man ein bisschen nachbohrt, merkt man schnell, dass das nicht direkt auf

Marina: die eigene Stadt oder ihr eigenes Dorf zutrifft.

Marina: Meistens gibt es da gar nicht so viele Menschen mit Migrationsgeschichte.

Marina: Aber sie stellen sich die Großstädte als sehr gefährlich vor.

Marina: Und diese Vorstellung ist alles, was es braucht.

Marina: Damit haben die Faschisten immer das größte Interesse, Messerangriffen,

Marina: bei denen der Täter irgendwie Migrationsgeschichte hat, auszuschlachten.

Marina: An zweiter Stelle steht, dass sie die Lage im Land als schlecht empfinden.

Marina: Sie glauben laut Umfragen, dass es den normalen BürgerInnen wie ihnen schlechter

Marina: geht, als es den BürgerInnen rein messbar wirklich geht.

Marina: Der dritte Punkt, dass sie keine positive Vision von der Zukunft haben.

Marina: Sie gehen davon aus, dass alles immer schlimmer wird. Sie katastrophisieren.

Marina: Darum wollen Faschisten auch nie etwas von Fortschritt oder möglichen Lösungen hören.

Marina: Manche haben sogar regelrecht ein apokalyptisches Weltbild.

Marina: Da steht die Welt immer direkt kurz vor dem Untergang. Der Feind ist übermächtig

Marina: und da helfen nur noch drastische Mittel.

Marina: Das kann man ganz gut bei islamistischen Ausprägungen von Faschismus sehen.

Marina: Oder in der Verschwörungserzählung vom sogenannten großen Austausch,

Marina: der quasi das Ende von weißen ChristInnen sein soll.

Marina: Es kommt aber auch kleiner daher. Die Apokalypse des moralischen Verfalls ist

Marina: ein beliebtes Thema bei Faschisten.

Marina: Das sieht man überall dort, wo jemand anders lebt.

Marina: Queere Menschen, Transmenschen und alle, die man für minderwertig hält,

Marina: wie Menschen, die in Armut leben oder mit Migrationsgeschichte oder mit Behinderung

Marina: oder ein jahrtausendealtes Motiv, die Juden.

Marina: Generell war es in den Augen der Faschisten früher besser, als man noch mit

Marina: Gas heizen durfte, als man ungehemmt Schnitzel essen durfte,

Marina: als man noch alles sagen durfte.

Marina: Das sind die kleinen Triggerpunkte unserer modernen Gesellschaft.

Marina: Und was Triggerpunkte sind, das hat der Soziologe Steffen Mau,

Marina: der zusammen mit seinen Kollegen Thomas Lux und Linus Westhäuser eine Analyse

Marina: zu dem Thema veröffentlicht hat, im Nordmagazin des NDR so erklärt.

00:19:26: Das sind eigentlich so sensible Bereiche, wo Leute von der Sachauseinandersetzung

00:19:32: zu sehr emotionalisierten Auseinandersetzungen übergehen.

00:19:35: Und da haben wir bestimmte Themen, Lastenfahrräder, Messerstecher im öffentlichen

00:19:40: Raum, SUV-Fahrer, Tempolimit.

00:19:42: Das sind so Themen, die Leute irgendwie emotional berühren und die gestalten

00:19:45: auch den politischen Raum.

Marina: Und genau diese Triggerpunkte nutzen Faschisten, um Leute dazu zu bringen, sie zu wählen.

Marina: Was ich euch in dieser Folge aber vor allem mitgeben will, das ist eine kleine

Marina: Anleitung, eine Handvoll Handlungsempfehlungen für den Worst Case.

Marina: When the shit hits the fan.

Marina: Was machen wir? Was sollen wir tun, wenn morgen wirklich der Faschismus hier im Land regiert?

Marina: Erstens Ruhe bewahren. Ich buchstabiere Ruhe. Aber mal ernsthaft.

Marina: Okay, hier sind meine fünf konkreten Punkte.

Marina: Erstens, bleibt Menschen.

Marina: Zweitens, schafft Schönes.

Marina: Drittens, bildet Banden. Viertens, schafft alternative Informationskanäle.

Marina: Und fünftens, Sabotage.

Marina: Okay, fangen wir beim ersten und wichtigsten Punkt an. Menschlich bleiben.

Marina: Das klingt so einfach, das ist aber im Faschismus verdammt schwer.

Marina: Wenn man nicht weiß, was morgen ist, wenn man in ständiger Angst und Repression und Gewalt leben muss,

Marina: wenn man sich sorgt, ob die eigenen Kinder eine Zukunft haben und so weiter,

Marina: dann kann es verlockend sein, einfach mitzulaufen und mitzumachen.

Marina: Wenn sie Migrantinnen schikanieren und bedrohen, queere Menschen oder kritische

Marina: JournalistInnen und WissenschaftlerInnen, naja, dann lassen sie ja immerhin dich in Ruhe.

Marina: Und genau das ist so trügerisch.

Marina: Solange sich die Herrschenden, wie sie ja auch versprochen haben,

Marina: bevor sie gewählt wurden, gegen die anderen richten, nicht gegen mich,

Marina: mag ich vielleicht so eine Art Sicherheit haben.

Marina: Aber der Faschismus ist immer im Krieg.

Marina: Und niemand weiß heute, wen der Faschismus morgen als neuen inneren Feind identifiziert.

Marina: Schaut euch mal Videos von verzweifelten Trump-Wählenden in den USA an,

Marina: die entsetzt darüber sind, dass unter Trump jetzt Freunde und Familie deportiert werden.

Marina: Diese Leute wussten, dass Trump sich um die, wie er es immer nannte,

Marina: Illegal Aliens kümmern wird.

Marina: Das war ja ein Wahlversprechen. Die Regierung greift nun aber so ziemlich wahllos

Marina: einfach Leute auf, die schon viele Jahre, teilweise Jahrzehnte in den USA leben.

Marina: Der Faschismus schafft immer neue Außenseiter und gegen die hetzt er die Bevölkerung auf.

Marina: Menschlich zu bleiben heißt, nicht mitzumachen, wenn sich der Faschismus wieder neue Opfer aussucht.

Marina: Das heißt, sich die allgemeine Erklärung der Menschenrechte so tief ins Hirn

Marina: zu prägen, dass man sie nie vergisst.

Marina: Dass man nie vergisst, dass die Würde jedes Menschen unantastbar ist.

Marina: Dass jeder Mensch ein Recht auf körperliche Unversehrtheit hat.

Marina: Deswegen sagen wir auch, wir sind nicht frei, bis wir alle frei sind.

Marina: Es heißt aber auch, die Hand ausstrecken, zu helfen, wo man kann,

Marina: nicht zu verhärten, auch wenn die Zeiten hart sind, sondern innen drin weich zu bleiben.

Marina: Wenn der Raum des Öffentlichen sich verdunkelt und die Menschen von der Politik

Marina: nicht mehr verlangen, als dass sie ihre Lebensinteressen und Privatfreiheit Rücksicht nehme,

Marina: wie Hannah Arendt einst schrieb, In solchen Zeiten entfaltet sich,

Marina: wenn es gut geht, eine Menschlichkeit anderer Art, so Arendt weiter.

Marina: Und genau diese Menschlichkeit, die müssen wir dann entwickeln.

Marina: Behaltet euch die Liebe tief im Herzen zu eurer Familie, zu der Welt,

Marina: zu den Tieren, der Natur, was auch immer in euch Liebe und Freude anzünden kann.

Marina: Seid geduldig mit euren Mitmenschen. Öffnet ihnen Türen.

Marina: Und vor allem überprüft immer wieder kritisch, ob das, was man um euch herum

Marina: erzählt, was im Fernseher läuft, was in den sozialen Medien steht oder was am

Marina: Stammtisch erzählt wird,

Marina: überprüft, ob das gegen eure Werte, gegen die Würde des Menschen,

Marina: gegen eure Integrität verstößt.

Marina: Ihr müsst im Prinzip immer bereit sein, euch im Spiegel in die Augen zu gucken

Marina: und zu sagen, ich lebe so gut ich kann im Einklang mit dem, was ich mir als richtig vorstelle.

Marina: Und in dem Moment, wo diese Übung anfängt wehzutun, anfängt sich unangenehm

Marina: anzufühlen, in dem Moment müsst ihr euch ehrlich reflektieren.

Marina: Dabei kann es helfen, ein paar gute Bücher im Regal zu haben,

Marina: die uns ein Kompass sind.

Marina: Hannah Arendt schreibt in ihrem Buch Menschen in finsteren Zeiten,

Marina: zum Beispiel über Lessing oder Berthold Brecht. Es schadet auch nichts,

Marina: Hannah Arendt selbst im Regal zu haben.

Marina: Oder Einer flog übers Kuckucksnest. Oder Anne of Green Gables.

Marina: Oder, oder, oder. Es gibt so viel gute Literatur, die nichts anderes versucht,

Marina: als die Menschlichkeit auf Buchseiten festzuhalten.

Marina: Schafft euch am besten jetzt schon einen kleinen Vorrat an. Das schadet sowieso nicht.

Marina: Und dann kann es helfen, die eigenen Gedanken aufzuschreiben.

Marina: Morgenseiten, Abendseiten, das Erlebte festhalten, reflektieren,

Marina: die Welt einem kritischen Blick unterziehen und immer wieder den eigenen moralischen Kompass prüfen.

Marina: In finsteren Zeiten sind gute Menschen oft ganz alleine, abgekapselt.

Marina: Das Tagebuch ist vielen dann der einzige Austausch, den sie dabei haben.

Marina: Das und damit zu unserem zweiten Punkt.

Marina: Schafft Schönes. Ob Gedichte, Songs, Kunstwerke, um im Alltäglichen zu bleiben,

Marina: geht Blumen pflücken und stellt sie auf den Tisch.

Marina: Bringt den Nachbarn Blumen mit, ladet eure Freunde zum Abendessen ein und erzählt

Marina: euch gegenseitig von den Zeiten vor dem Faschismus oder von dem Schönen,

Marina: das ihr heute erlebt habt oder von dem Lustigen, das eure Katze gemacht hat.

Marina: Kennt ihr Frederik die Maus? In dieser Geschichte von Leo Leoni geht es um eine

Marina: Mäusefamilie, die in einer Steinmauer lebt und die für den Winter Vorräte einsammelt.

Marina: Nur Frederik sammelt nicht mit und als er gefragt wird, wieso,

Marina: sagt er, dass er Sonnenstrahlen, Farben und Wörter für die grauen Wintertage

Marina: sammle, was die Familie erstmal gar nicht witzig findet.

Marina: Und als sie dann alle im Winter dasitzen und die Vorräte aufgebraucht sind,

Marina: da kommt Fredericks große Stunde.

Marina: Und er schafft es, mit seinen Vorräten wieder Wärme in die kleine Mäusebude zu bringen.

Marina: Er erinnert an die vielen Facetten der Farben im Frühling und im Sommer.

Marina: Und mit einem Gedicht hebt er merklich die gedrückte Stimmung.

Marina: Es sind die schönen Dinge, die uns durch finstere Zeiten helfen.

Marina: Ganz oft kleine Dinge. Ein Bärenstein, ein Handschmeichler, eine Sammlung Muscheln vom Meer.

Marina: Oder, um uns ganz davon zu lösen, dass man irgendwas besitzen müsste,

Marina: um Schönes zu schaffen, tanzt, lacht, schaut euch gemeinsam die Sterne an.

Marina: Das ist nicht klein. Das ist auch kein Verzagen. Sehr im Gegenteil.

Marina: Und damit zu unserem dritten Punkt.

Marina: Bildet Banden. Wenn es ein Antidot gegen den Faschismus gibt,

Marina: dann ist es Solidarität.

Marina: Natascha Strobl hat über Solidarität ein ganzes Büchlein geschrieben.

Marina: Das zum Beispiel kann auch in euer Regal. Das Tolle an der Solidarität ist,

Marina: sie nützt uns nicht nur im Faschismus, sie nützt uns immer.

Marina: Also fangt am besten heute damit an.

Marina: Solidarität fängt oft im Kleinen an. Sich gegenseitig helfen in der Nachbarschaft.

Marina: Wir haben das ja schon in der Pandemie gesehen.

Marina: Einkäufe für alte Leute erledigen, gemeinsames Singen auf den Balkonen,

Marina: Treffen im Freien, bei denen jeder etwas mitbringt.

Marina: Habtet ihr nicht auch das Gefühl, dass diese Momente etwas in eurer Seele geheilt haben?

Marina: Etwas, das älter ist als die Pandemie?

Marina: Solidarität ist nicht nur gegen Faschismus das wirksamste Antidot,

Marina: sondern gegen neoliberale Ideologien, die uns Menschen gern als individualistische

Marina: EinzelkämpferInnen haben.

Marina: Überall, wo Menschen solidarisch füreinander einstehen, können sie zeigen,

Marina: dass es schon jetzt eine bessere Zukunft für alle gibt.

Marina: Jede Solidarität, ob im Großen oder Kleinen, macht das Leben sofort besser.

Marina: Und zwar nicht nur das Leben derjenigen, die Solidarität erfahren,

Marina: Das wissen wir aus der Psychologie.

Marina: Solidarität macht auch das Leben derjenigen besser, die sie geben.

Marina: Wir wollen gebraucht werden. Das ist ein menschliches Grundbedürfnis.

Marina: Wenn Hannah Arendt über die finsteren Zeiten schreibt, dann fällt bei ihr immer

Marina: wieder ein Begriff. Der Begriff der Weltlosigkeit.

Marina: Klingt seltsam? Ich will mal versuchen, das zu erklären.

Marina: Zentral in Arendts Denken ist, dass alle Menschen sich eine Welt teilen.

Marina: Und das Politische bei Arendt besteht darin, dass die Menschen immer wieder

Marina: über diese gemeinsame Welt reden und streiten.

Marina: Debatten in der Politik, Diskussionen im Freundeskreis, intellektuelle Hot-Takes

Marina: im Feuilleton und heute auch Videos auf YouTube, Podcasts wie dieser.

Marina: Immer dann, wenn sich Menschen treffen und miteinander über die Welt sprechen,

Marina: finden wir das Politische nach Hannah Arendt.

Marina: Weltlosigkeit ist, wenn es das alles nicht mehr gibt.

Marina: Zum Beispiel wegen der Zensur, wie in China. Oder weil das Internet abgeschaltet

Marina: wird, wie es autoritäre Herrscher immer wieder gern dann tun,

Marina: wenn sich mal wieder Protest regt.

Marina: Weltlosigkeit im Extremen entsteht dann, wenn es nur noch eine Interpretation

Marina: der Welt gibt, nämlich die der Faschisten.

Marina: Wenn keine andere Erzählung daneben zugelassen wird. Kritik abgeschaltet wird,

Marina: Wissenschaft, die finanzielle Grundlage entzogen wird.

Marina: Ihr merkt schon, da sind wir wieder recht schnell bei den Strategien,

Marina: wie sie in den USA, in Russland oder auch im Iran zu finden sind.

Marina: Und genau dagegen, gegen diese Weltlosigkeit, müssen wir Banden bilden.

Marina: Das können Freundschaften sein oder Nachbarschaftsgruppen. Einfach Gelegenheiten

Marina: schaffen, um gemeinsam über die Welt zu sprechen. Darum geht es.

Marina: Gelegenheiten, aber auch für Gemeinsinn, Mitgefühl und vor allem Vertrauen.

Marina: Vertrauen ist im Faschismus rar. Der Faschismus lebt davon, dass alle einander misstrauen.

Marina: Jeder könnte ein verdeckter Faschist sein.

Marina: Habt ihr schon mal das Spiel Werwölfe von Düsterwald gespielt?

Marina: Ein Rollenspiel, bei dem ein paar Mitspieler nachts zu Werwölfen werden.

Marina: Aber die armen Dorfbewohner wissen nicht, wer die Werwölfe sind. Es könnte jeder sein.

Marina: So ähnlich kann sich das auch im Faschismus anfühlen. Als die DDR vorbei war

Marina: und die Akten der Stasi für die Opfer des Regimes zugänglich gemacht wurden,

Marina: haben viele entsetzt festgestellt, dass sie von Freunden,

Marina: oder der eigenen Familie bespitzelt wurden. Und darum ist es so wichtig,

Marina: jetzt, wo wir noch nicht mitten im Faschismus sind, Netzwerke des Vertrauens zu knüpfen.

Marina: Wenn er da ist, dann gilt es, kleine Nischen in der Gesellschaft zu schaffen,

Marina: in denen ihr euch austauschen könnt.

Marina: Wie das geht, das schildert der iranischstämmige Soziologie-Professor Assef

Marina: Bayad in seinem Buch Das Leben als Politik, wie ganz normale Leute den Nahen

Marina: Osten verändern, aus dem Jahr 2012.

Marina: Darin beschreibt er, wie in repressiven Systemen des Nahen Ostens,

Marina: etwa in Ägypten, aber auch im Iran, soziale Nichtbewegungen entstanden sind. So nennt er das.

Marina: Und damit meint er Bewegungen, die ganz anders als die sozialen Bewegungen sind,

Marina: wie wir sie kennen, nicht in der Öffentlichkeit stattfinden,

Marina: aber doch nach und nach zu gesellschaftlichem Wandel führen.

Marina: Würden die Menschen in einem Land wie dem Iran zum Beispiel eine Frauenorganisation

Marina: gründen und auf die Straßen mobilisieren, dann würde diese Organisation massiv

Marina: schikaniert und im Zweifel mit Gewalt unterdrückt werden.

Marina: Deswegen gibt es bei Nicht-Bewegungen in der Regel keine HeldInnen oder AnführerInnen,

Marina: die für diese Bewegung sprechen.

Marina: Manchmal gibt es sie doch, wie die kurdische Iranerin Gina Massa-Armini,

Marina: die 2022 von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, gefoltert und getötet worden war.

Marina: Ihr Tod löste massive Proteste im Iran aus.

Marina: Ihre Geschichte ging um die ganze Welt. Aber sie ist tot.

Marina: Sie kann nicht mehr schikaniert werden. Die iranischen Machthaber können ihr

Marina: nichts mehr tun. Alle anderen wissen aber umso deutlicher, es ist gefährlich,

Marina: gegen den Strom zu schwimmen.

Marina: Die Menschen verlagern darum ihre Gespräche über die Welt in einfache,

Marina: unverdächtige Aktivitäten und Räume.

Marina: Sie machen Kunst, gemeinsam Sport oder Musik.

Marina: Sie unterhalten sich beim Einkaufen.

Marina: Und dann sind es ganz oft kleine Codes, an denen wir die anderen Antifaschisten erkennen.

Marina: Die Frisuren, die Kleidung, am Buch und am Arm.

Marina: Ein Armband in Regenbogenfarben kann signalisieren, dass ihr queerfreundlich

Marina: seid. In Kiew erkannten die Maidan-Protestierenden uns damals an dem Geruch

Marina: nach verbrannten Autoreifen an unseren Jacken.

Marina: Die iranischstämmige Hochschulprofessorin Azhar Nafisi hat ein ganzes Buch darüber

Marina: geschrieben, wie sie mit einer kleinen Gruppe junger Frauen bei sich zu Hause

Marina: verbotene Literatur liest und darüber spricht.

Marina: Lolita lesen in Teheran, heißt das Buch. Alles findet im Kleinen, im Stillen statt.

Marina: Man tut privat das, was man öffentlich nicht mehr tun kann.

Marina: Teilt verbotene Bücher, Musik, Kunst und ganz wichtig, Humor.

Marina: Das klingt klein, aber stellt euch mal vor, wenn das Millionen Menschen jeden Tag tun.

Marina: Assef Bayat sagt, das gemeinsame Handeln vieler Menschen führt zur Normalisierung

Marina: und zur Legitimierung von Aktivitäten, die eigentlich als unzulässig gelten.

Marina: In der DDR war es zum Beispiel normal, dass die Leute, wenn sie es denn empfangen

Marina: konnten, das Fernsehen aus dem Westen schauten, obwohl das eigentlich nicht

Marina: erlaubt war. Aber es haben eben alle gemacht.

Marina: Dann auch am nächsten Tag über Wetten, dass gesprochen.

Marina: Meine Mutter hat als Kind ausschließlich Samizdat gelesen, also Bücher,

Marina: die auf Schreibmaschinen kopiert

Marina: worden waren, weil sie vom sowjetischen Regime nicht verlegt wurden.

Marina: Und das ging so weit, dass meine Großmutter für sie Krieg und Frieden abtippen

Marina: musste, das nicht verboten war, aber in der Klasse meiner Mutter galt es als

Marina: uncool, nicht verbotene Literatur zu lesen.

Marina: Also hat meine arme Oma Krieg und Frieden auf der Schreibmaschine kopiert.

Marina: Damit solche Nichtbewegungen entstehen können, braucht es Orte,

Marina: zu denen das faschistische Regime keinen Zugriff hat, wo es nicht überwachen kann, was die Leute tun.

Marina: Darum ist es heute schon so wichtig, dass wir uns dagegen wehren,

Marina: wenn alles überwacht werden soll. Sogar in der Sauna.

Marina: Privatsphäre ist ein so wertvolles Gut. Wir müssen sie schützen, wo wir können.

Marina: Denn im Faschismus werden wir sie brauchen.

Marina: Also wenn jetzt gerade die Polizei davon redet, dass sie gerne Palantir einsetzen

Marina: möchte, ein Massenüberwachungstool, ein geschlossenes und privates von einem

Marina: Milliardär, der demokratiefeindlich ist,

Marina: dann müssen wir jetzt und heute dagegen aufbegehren.

Marina: Und damit kommen wir zum vierten Punkt.

Marina: Schafft alternative Informationskanäle Das Internet, wie wir es heute kennen,

Marina: wird es im Faschismus nicht mehr geben. Es wird zensiert.

Marina: Ganze Plattformen werden abgeschaltet.

Marina: Schaut einfach nach China, wenn ihr euch ein Bild machen wollt.

Marina: Darum braucht es alternative Wege, Informationen zu verbreiten.

Marina: Der naheliegendste ist die Mundpropaganda. Sie kostet nichts,

Marina: sie braucht keine Technik, sie ist einfach und direkt.

Marina: In den Nichtbewegungen verbreiten sich Informationen beim Sport,

Marina: Musizieren, in der Kirche, in der Synagoge, in der Moschee oder wo auch immer

Marina: ihr eurer Religion nachgeht.

Marina: Man könnte Sticker und Flugblätter mit versteckten Botschaften drucken,

Marina: die man an Straßenlaternen klebt. Aber das reicht auf Dauer nicht.

Marina: Darum gibt es verschiedene Ideen, wie sie auch in China oder während des arabischen

Marina: Frühlings bereits Anwendung gefunden haben.

Marina: Das eine ist, klar, eine VPN. Eine Software, die es ermöglicht,

Marina: wieder Teil der weltweiten Kommunikation zu werden.

Marina: Das ist eine sehr digitale Lösung. Man könnte auch analoger werden und anderes

Marina: versuchen, Kontakt mit anderen Menschen in der Welt aufzunehmen, über Funk zum Beispiel.

Marina: Eine dritte Idee, auch bei Katastrophen zum Beispiel, sind dezentrale Ad-Hoc-Netze,

Marina: wo Informationen von einem mobilen Endgerät zum nächsten und wieder zum nächsten

Marina: und so weiter gegeben werden.

Marina: Wirklich, schaut euch das alles mal an. Und wisst ihr, wer heute schon all solche

Marina: Sachen auf dem Schirm hat, baut und entwickelt?

Marina: Der Hacker-Space bei dir um die Ecke.

Marina: Klingt seltsam, ist aber so. Hacker lieben solche Technologien.

Marina: Sie warten, bis die ISS am Nachthimmel über sie hinwegfliegt, um sie anzufunken.

Marina: Sie organisieren auf ihren Events Walkie-Talkie-Spiele.

Marina: Die Walkie-Talkies haben sie aber auch gehackt, um sie abhörsicher zu machen.

Marina: Ihr merkt schon, wo das hinführt.

Marina: Verbündet euch mit den Hackern eures Vertrauens.

Marina: Das ist tatsächlich etwas, das ich sehr früh gemacht habe.

Marina: Ich hatte auf meinem Dach einen WiFi-Router stehen, der Kontakt zum WiFi-Router

Marina: auf dem Dach meines Nachbarn hatte und der wiederum zudem auf der Kirche.

Marina: Und wir haben darüber ein dezentrales Netzwerk gegründet. Und unsere Häuser

Marina: konnten miteinander selbst dann kommunizieren, wenn das Internet abgeschaltet worden wäre.

Marina: Und das ist tatsächlich wieder der Punkt, bildet Banden.

Marina: Es gibt so viele Menschen in eurer Umgebung, die Fachwissen haben und Ideen haben.

Marina: Und die den Scheiß einfach schon ein bisschen länger machen als ihr und ich.

Marina: Und dazu passt auch ganz gut der letzte Punkt.

Marina: Sabotage. Man könnte sagen, den Faschismus hacken.

Marina: Als Russland die groß angelegte Invasion auf die Ukraine begann,

Marina: im Februar 2022, dann dauerte es gar nicht mal so lange, bis das Hacker-Kollektiv

Marina: Anonymous einen Cyberkrieg gegen den Kreml begann.

Marina: Sie hackten Regierungsseiten, platzierten Kritik am russischen Krieg auf Webseiten

Marina: des Kremls, im Radio und im Fernsehen.

Marina: Sehr spektakulär war das, als am Tag des Sieges, wie er in Russland genannt

Marina: wird, im Fernsehen nicht die pompöse Militärparade zu sehen war,

Marina: sondern Botschaften wie »Putin lügt« über die Bildschirme flimmerten.

Marina: Man muss aber kein Hacker sein, um den Faschismus zu sabotieren.

Marina: Der CIA hat 1944 ein Büchlein verfasst, das dazu gedacht war,

Marina: den Menschen im Nazifaschismus Methoden an die Hand zu geben,

Marina: wie sie mit möglichst wenig Aufwand und auch geringem Risiko möglichst viel

Marina: Schaden in ihren Betrieben anrichten.

Marina: Denn, so der Gedanke, je mehr Sabotage im Kleinen, desto geringer die Produktivität im Naziland.

Marina: Das Büchlein bekommt ihr auf verschiedenen Stellen geschenkt.

Marina: Es ist sehr klein und sehr schnell hat man das durchgelesen, aber es hat es in sich.

Marina: Und vielleicht kennt ihr so manche Tricks aus eurem Alltag. Zum Beispiel kann

Marina: man sich ja besonders viel Zeit lassen, das eigene Bahnticket herauszuholen,

Marina: wenn gerade die Kontrolleure durch den Zug ziehen und Leute rausfischen, die schwarz fahren.

Marina: Genauso kann man alle möglichen Behörden durch dumme Fragen,

Marina: scheinbare Vergesslichkeit, Schusseligkeit und andere Tricks aufhalten und sabotieren.

Marina: Mein Lieblingstipp, bleibe länger auf dem Klo als notwendig.

Marina: Das Büchlein zum Blättern bekommt ihr übrigens bei Rowold mit einem schönen

Marina: Nachwort von Katrin Passing.

Marina: Einen kleinen Überblick über die Tricks findet ihr in der Wikipedia.

Marina: Und das alles, was wir euch heute hier empfehlen, natürlich in den Shownotes.

Marina: Klar, wir wollen auf jeden Fall alles tun, damit es gar nicht erst so weit kommt.

Marina: Der Faschismus steht nicht automatisch morgen vor der Tür.

Marina: Im Gegenteil, wenn wir mal aufhören würden, uns ständig einzureden,

Marina: dass die AfD demnächst an die Macht kommt, dann würden wir vielleicht mal merken,

Marina: dass die meisten Menschen um uns herum immer noch stabile Antifaschisten sind.

Marina: Trotzdem schadet es nicht, sich den Worst Case einmal auszumalen und für alle

Marina: Fälle einen Plan zu haben.

Marina: Und wie gesagt, bis auf das mit der Sabotage sind das alles Dinge,

Marina: mit denen wir jetzt sofort anfangen können.

Marina: Schönes schaffen, Banden bilden. Schaut mal bei eurem örtlichen Hackerspace vorbei.

Marina: Und vor allem, lasst uns immer Menschen bleiben.

Marina: Und das sage nicht nur ich. Das sagt auch die vor kurzem verstorbene,

Marina: großartige Margot Friedländer.

Marina: Eine, die den Holocaust überlebt hat und die bis zum Schluss beharrlich immer

Marina: und immer wieder Schulklassen, LeserInnen, PolitikerInnen und ja eigentlich

Marina: der ganzen Gesellschaft das eine mitgeben wollte.

00:41:44: Meine Mission ist, Menschen zu sagen, dass sie menschlich sein sollen.

00:41:53: Dass sie Menschen respektieren sollen, ganz egal, welche Hautfarbe,

00:42:02: welche Rühren sie haben.

00:42:05: Es gibt ja kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut.

00:42:12: Es gibt nur menschliches Blut.

00:42:16: Alle Menschen sind leis.

Marina: Denkt immer daran. Selbst wenn der Faschismus morgen kommt, wird es nicht das Ende der Welt sein.

Marina: Faschismus zerstört sich immer selbst. Er ist keine stabile Politikform.

Marina: Es wird ein Übermorgen geben. Wir werden morgen im schlimmsten Fall die Pflicht

Marina: haben, selbst zu überleben und anderen beim Überleben zu helfen.

Marina: Unsere Menschlichkeit mit auf die andere Seite zu nehmen. Aber danach werden

Marina: wir eine neue Gesellschaft bauen müssen.

Marina: Wie diese Gesellschaft aussehen wird, das bestimmen wir heute.

Marina: Wir haben die Macht, heute schon die Samen anzulegen, die nach dem Waldbrand aufblühen können.

Marina: Deswegen macht es keinen Sinn, von unserer Arbeit abzulassen,

Marina: jetzt nicht demokratische Kinder zu erziehen oder jetzt nicht Visionen über

Marina: eine positive Zukunft zu schaffen.

Marina: Denn wir werden sie ja doch brauchen.

Marina: Unsere Vorväter haben, nachdem sie in der Monarchie und dann unter einer Nazi-Diktatur

Marina: aufgewachsen sind, das Grundgesetz geschaffen.

Marina: Und das sind nicht Kinder, die gewaltfrei erzogen wurden.

Marina: Das sind nicht Leute, die in einer liberalen Gesellschaft mit Menschenrechten

Marina: sozialisiert wurden. Und trotzdem haben sie das Grundgesetz erschaffen.

Marina: Also was können wir alles für die Zukunft erschaffen?

Marina: Das war die zweite Folge unseres Podcasts. Ihr wisst ja nun,

Marina: wie es läuft. Die nächste Folge kommt, wenn genug Geld dafür zusammengekommen sind.

Marina: Dafür muss ich nicht werbefinanziert sein, muss nicht durch Clickbaiting und

Marina: sonst was eure Aufmerksamkeit erregen und kann in meinem Denken und Sprechen

Marina: völlig unabhängig bleiben.

Marina: Und danke an alle, die diese zweite Folge möglich gemacht haben.

Marina: Wenn ihr auch dazu beitragen wollt, dass es hier bald weitergeht,

Marina: dann findet ihr in den Shownotes einen Link zu unserer Steady-Seite und zur

Marina: Kontoinformation von Haus 1.

Marina: Super, dass so viele von euch direkt auf das Konto Geld gesendet haben,

Marina: denn Steady nimmt sich ja auch

Marina: einiges von dem Geld dafür, dass sie den Service zur Verfügung stellen.

Marina: Vergesst nicht, in den Verwendungszweck Wind und Wurzeln zu schreiben,

Marina: sonst kann die Buchhaltung den Betrag nicht unserem Podcast zuordnen.

Marina: Und wenn ihr Fragen, Wünsche, Anregungen habt, schreibt am besten Katrin von

Marina: Haus 1, die sammelt das dann und wir telefonieren darüber.

Marina: Katrin at hauseins.fm ist ihre Adresse. Wenn euch der Podcast gefällt,

Marina: dann erzählt anderen davon.

Marina: Mundpropaganda. Schreibt uns eine nette Bewertung, wo immer das geht.

Marina: Und gebt uns viele Sternchen. Das hilft anderen dabei, uns zu finden und sich

Marina: dafür zu entscheiden, mal reinzuhören.

Marina: Wind und Wurzeln ist eine Produktion von Haus 1. Redaktion von Katrin Rönecke

Marina: und mir Marina Weißband.

Marina: Schnitt und Sounddesign von Oliver Kraus. Am Mikrofon war Marina Weisband.

Marina: Das war's für heute. Bis zum nächsten Mal. Ich hab euch lieb.

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