Wie kann das Schulsystem besser werden?

Shownotes

Laut einer Umfrage vor der Bundestagswahl 2017 nannten 64% der Befragten die Schul- und Bildungspolitik "sehr wichtig für meine Wahlentscheidung". Damit war es das Top-Thema, noch vor Rente, Zuwanderung und Terrorbekämpfung! Trotzdem spielte das Thema weder im Wahlkampf noch in der darauffolgenden Legislaturperiode eine große Rolle. Die Medien griffen es nicht auf.

Aufgegriffen wird das Thema immer dann gerne, wenn es schlechte Nachrichten gibt. Stichwort "PISA-Schock". Lehrkräftemangel, marode Schulen oder Schulabgänger-Quoten sind beliebte Themen. Die Aufregung kurz groß. Aber dann - obwohl sich alle einig sind, dass es so nicht sein sollte - passiert: Nichts.

In dieser Folge fragen wir: Warum treten wir, was die Bildung angeht, seit Jahrzehnten mehr oder weniger auf Stelle? Was müsste die Politik tun, um Bildung besser zu machen? Und wie kommen wir dahin, dass sie das auch endlich tut?

Danke an alle, die uns unterstützen Wind und Wurzeln ist und bleibt unabhängig - dank euch! Eine neue Folge gibt es immer dann, wenn genug zusammengekommen ist. Entweder direkt an hauseins oder über Steady.

Links und Hintergründe

"Wind und Wurzeln" ist eine Produktion von hauseins. Mehr Podcasts von uns gibt es auf hauseins.fm

Transkript anzeigen

00:00:01: Haus 1. Wir machen Podcasts.

O-Töne: Die Infrastruktur ausstatten, das ist einer der Punkte, warum wir so viel Geld

O-Töne: in die Bildung stecken wollen, wenn wir sicher nachher nochmal drauf zurückkommen.

Marina: Nein, über Bildung durfte Martin Schulz damals nicht nochmal sprechen.

Marina: Der SPD-Kanzlerkandidat von 2017, den wir hier eben gehört haben.

Marina: Das war ein Ausschnitt aus dem TV-Duell, in dem er damals gegen Angela Merkel angetreten ist.

Marina: Bildung war kein Thema für die vier Moderatorinnen Sandra Maischberger,

Marina: Maybrit Illner, Klaus Strunz und Peter Klöppel.

Marina: Dabei wurde Bildung in einer Umfrage vor der Wahl 2017 als wichtigstes Thema,

Marina: noch vor Terrorbekämpfung, der Rente und der Zuwanderung genannt.

Marina: 64 Prozent nannten Schul- und Bildungspolitik sehr wichtig für meine Wahlentscheidung.

Marina: Hi liebe Menschen, willkommen bei Wind und Wurzeln. Ich bin Marina Weisband

Marina: und freue mich sehr, dass ihr wieder dabei seid.

Marina: Setzt euch an meinen Küchentisch, schnappt euch ein warmes Getränk.

Marina: Wir reden heute über mein Lieblingsthema. Ich verspreche, möglichst wenig zu fluchen.

Marina: Die Stichwörter Bildung und Schule sind immer wieder in den Nachrichten.

Marina: Und zwar auffällig oft dann, wenn es um schlechte Nachrichten geht.

Marina: Wenn mal wieder Lehrermangel herrscht und deswegen zum Beispiel Unterricht ausfallen muss.

Marina: Wenn Schulen marode sind, also immer, wenn die Quoten der Schulabgänger ohne

Marina: Abschluss bekannt gegeben werden.

Marina: Oder regelmäßig, wenn die neuesten Ergebnisse der PISA-Studie oder des Instituts

Marina: für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen vorliegen.

Marina: Zuletzt bekam Deutschland wieder mal von der EU-Kommission bescheinigt,

Marina: zu wenig in die Bildung zu investieren.

Marina: Verglichen mit den anderen EU-Ländern liegen wir unter dem Durchschnitt.

Marina: Und das sagt auch die OECD.

Marina: An schlechten Nachrichten mangelt es also nicht. Aber wie kommt es,

Marina: und das beschäftigt mich seit Jahren, dass immer alle entsetzt sind und sich

Marina: schnell einig sind, das muss besser werden.

Marina: Und dann passiert nichts.

Marina: Warum treten wir, was die Bildung angeht, seit Jahrzehnten mehr oder weniger auf der Stelle?

Marina: Und was müsste Politik tun, um Bildung besser zu machen? Und wie kommen wir

Marina: dahin, dass sie das auch endlich tut?

Marina: Macht's euch gemütlich und wir schauen uns das in Ruhe an.

Marina: Bevor wir loslegen, aber wie immer der Hinweis, Wind und Wurzeln lebt von euch.

Marina: Wir wollen das hier nämlich ohne Werbung machen. Und darum brauchen wir eure Hilfe.

Marina: Eine neue Folge gibt es immer dann, wenn genug Geld zusammengekommen ist.

Marina: Im Moment ist das etwa alle sechs Wochen plus minus. Und danke an alle,

Marina: die diese Folge möglich gemacht haben.

Marina: So, ich bin ja Psychologin. Und wisst ihr, warum ich Psychologie studiert habe?

Marina: Ich wollte unbedingt wissen, was wir tun können, um unser Bildungssystem besser zu machen.

Marina: Aber dann habe ich mit Schrecken festgestellt, wir wissen längst,

Marina: wie das geht. Wir wissen seit über 30, 40 Jahren, was man in Schule dringend

Marina: anders machen müsste, um das Lernen zu verbessern.

Marina: Und wie gesagt, das ist dringend notwendig.

Marina: Denn Bildung ist der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft,

Marina: sagt sogar das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultur.

Marina: Der Schlüssel für die Zukunft, für die Demokratie, eine nachhaltige Entwicklung,

Marina: für Wachstum, sozialen Aufstieg, gesellschaftliche Teilhabe,

Marina: Fortschritt, persönliche Freiheit, das alles ist Bildung.

Marina: Und da sind sich alle einig.

Marina: Und trotzdem schneidet Deutschland im Vergleich mit anderen OECD-Ländern genau

Marina: in diesem Punkt schlecht ab. Und das hat Folgen.

Marina: Schauen wir uns das Problem mal von verschiedenen Seiten an.

Marina: Da ist zum einen die persönliche Seite der Betroffenen oder in unserem Fall der Beschulten.

Marina: Also aller Menschen der nächsten Generation.

Marina: Laut Studien leiden immer mehr Kinder und Jugendliche an Burnout und Depressionen.

Marina: Und das war schon vor Corona ein Thema.

Marina: Schon 2018 hatte mehr als jedes zehnte Kind mit Angst, Burnout und Depressionen

Marina: zu kämpfen. Der Leistungsdruck durch Schulen und Eltern wird dabei immer wieder

Marina: als einer der häufigsten Auslöser genannt.

Marina: Seit der Pandemie ist das nicht besser geworden, aber der Trend war vorher schon da.

Marina: Von 2009 bis 2019 hatte sich die Zahl der Kinder und Jugendlichen mit Depressionen verdoppelt.

Marina: Ich spreche ja oft mit Kindern und Jugendlichen und ich höre oft,

Marina: dass sie nicht schlafen können, weil sie total Angst haben vor der nächsten Prüfung,

Marina: weil sie gefühlt gar nichts mehr machen können zwischen Prüfungen.

Marina: Es ist überhaupt nicht mehr an Spaß zu denken, man ist nicht dort für Freunde.

Marina: Man ist dort, um die nächste Prüfung zu bestehen, um von außen eine gute Note zu kriegen.

Marina: Ich habe ganz herzzerreißende Briefe von Jugendlichen gelesen,

Marina: die schreiben, warum tut Schule mir das an?

Marina: Und von Depressionen, von Albträumen, von Panikattacken berichten.

Marina: Davon, dass sich Schule einfach wie Zeitverschwendung anfühlt,

Marina: dass sie zwei Drittel ihres Lebens eigentlich gar nicht für sich haben,

Marina: sondern für den Papierkorb Hausaufgaben schreiben,

Marina: um dann mit Zahlen belohnt zu werden, für die sie aber später trotzdem nicht angestellt werden.

Marina: Viele Kinder bleiben in der Schule weit hinter ihren Möglichkeiten zurück,

Marina: weil Schule es nicht schafft, ihre Neugier zu wecken.

Marina: Und wer Kinder kennt, weiß, das sind die neugierigsten Wesen überhaupt. Sie wollen lernen.

Marina: Aber Schule schafft es nicht, sie dazu zu motivieren, sondern im Gegenteil,

Marina: sie tötet die Motivation, mit der sie reinkommen.

Marina: Und eine schlechte Schule schafft es manchmal regelrecht, aus kreativen,

Marina: lustigen, fröhlichen und offenen kleinen Menschen jede Kreativität zu quetschen.

Marina: Das hat schon Sir Ken Robinson in seinem legendären TED-Vortrag in 2007 gesagt.

O-Töne: Und wir jetzt machen nationales Bildungssysteme, wo Fehler sind das Schlimmste, was man kann.

O-Töne: Und das Ergebnis ist, dass wir Menschen aus ihrer Kreativen Kapazitäten educieren.

O-Töne: Picasso sagte das, er sagte, dass alle Kinder sind als Arteile.

O-Töne: Der Problem ist, dass wir ein Arteile als wir aufwachsen sind.

O-Töne: Ich glaube, das passionately, dass wir nicht in der Kreativität leben,

O-Töne: wir auswachsen sind. Oder wir werden auswachsen.

Marina: Es ist also, und ich zitiere wirklich nicht oft Richard David Precht,

Marina: aber ein Verrat des Bildungssystems an unseren Kindern.

Marina: Und das sind nicht die motivierten LehrerInnen, die sich den Arsch aufreißen,

Marina: um gute Bildung möglich zu machen. Und es sind auch nicht die SchulleiterInnen.

Marina: Es ist das Bildungssystem, das auch diesen Menschen ihr Leben wirklich schwer

Marina: macht. Aber nicht nur das.

Marina: Wenn wir überlegen, warum es überhaupt Schulen gibt, warum wir Bildungssysteme

Marina: einmal erfunden haben, dann spielt natürlich auch die Wirtschaft eine wichtige Rolle.

Marina: Junge Menschen sollen befähigt werden, einmal ihren Teil zur Gesellschaft beizutragen

Marina: und im Kapitalismus heißt das vor allem zu arbeiten.

Marina: Darum denken auch viele, dass Schulen schon ganz gut sind, wie sie sind.

Marina: Denn, so das Argument, Schulen bereiten Kinder eben auf den Ernst des Lebens

Marina: vor. Das ist halt nicht immer nur Spaß und Freude, sondern harte Arbeit,

Marina: Disziplin, früh aufstehen zu müssen und Frust, deal with it.

Marina: Doch selbst wenn man so denken würde, und ich denke so nicht,

Marina: aber selbst wenn man sagen würde, die wichtigste Aufgabe der Schule ist es,

Marina: unsere Kinder und Jugendlichen bestmöglichst zu qualifizieren.

Marina: Damit sie unsere Wirtschaft nach vorne bringen, selbst dann muss man einsehen,

Marina: dass die Schule das im Moment nicht besonders gut macht.

Marina: Das bescheinigen uns nämlich so

Marina: ziemlich alle, die sich wirtschaftswissenschaftlich mit Schule befassen.

Marina: Zum Beispiel die OECD. Die OECD

Marina: ist die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

Marina: Wenn ihr mehr über die OECD wissen wollt, in der vorherigen Folge zu der Frage,

Marina: wie schlecht geht es der Wirtschaft wirklich, habe ich ziemlich ausführlich

Marina: über die Arbeit der OECD gesprochen.

Marina: Kurz gesagt, die OECD will, dass die Wirtschaft in ihren Mitgliedsländern richtig gut läuft.

Marina: Sie soll wachsen und die Länder sollen vom Handel profitieren.

Marina: Die OECD liebt deswegen Fortschritt und sucht immer neu mit dem klügsten Köpfen

Marina: aus Wirtschaft und Sozialwissenschaften nach Antworten auf die drängendsten Fragen der Gegenwart.

Marina: Auch für die OECD ist Bildung ein Schlüssel für die wirtschaftliche Stabilität

Marina: und Zukunft eines Landes.

Marina: Am bekanntesten ist von der OECD sicherlich die PISA-Studie.

Marina: Die gibt es seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre mit verschiedenen Schwerpunkten.

Marina: Aber immer geht es darum, über die Messung von Schulwissen hinaus zu gehen und

Marina: die Fähigkeit zu erfassen, bereichspezifisches Wissen und bereichspezifische

Marina: Fähigkeiten zur Bewältigung von authentischen Problemen einzusetzen,

Marina: wie es bei der OECD heißt.

Marina: Und das ist ein bisschen der Grundgedanke von Nicht für die Schule lernen wir, sondern fürs Leben.

Marina: Was viele nicht wissen, jedes Jahr gibt die OECD einen Bericht mit dem Titel

Marina: Bildung auf einen Blick heraus.

Marina: Neben PISA behält dieser Bericht im Auge, wie sich die Mitgliedstaaten der OECD

Marina: langfristig entwickeln, wohin die Reise also geht.

Marina: Der Bericht von 2024 stellt Deutschland kein sehr gutes Zeugnis aus.

Marina: Darin steht, die Bildungschancen eines jungen Menschen hängen bei uns noch immer

Marina: stark von seiner Herkunft ab.

Marina: Wie ist der sozialökonomische Hintergrund im Elternhaus? Gibt es einen Migrationshintergrund?

Marina: Deutschland kann in Sachen Chancengerechtigkeit nicht mit Ländern wie Irland

Marina: oder Estland mithalten, die zeigen, ihre Schulen schaffen es besser,

Marina: unabhängig vom Hintergrund der Kinder zu bilden und davon profitieren. Alle!

Marina: Auch was den Bildungsstand angeht, liegt Deutschland unter dem OECD-Durchschnitt.

Marina: Und das bedeutet, bei uns finden Unternehmen weniger gut qualifizierte junge

Marina: Leute als in Ungarn, Tschechien und Slowenien.

Marina: Besonders alarmierend, in Deutschland gibt es mehr nicht an Bildung beteiligte

Marina: Menschen im Sekundarbereich 2 als noch 2013 und deutlich mehr als im OECD-Schnitt.

Marina: Gute Bildung hat für die OECD vor allem was mit Chancengleichheit zu tun.

Marina: Und Chancengleichheit ist für die OECD nicht einfach nur eine leere Floskel.

Marina: Sie meint damit den Auftrag von Schule, alle möglichst weit zu bringen.

Marina: Egal welches Geschlecht, was für ein Elternhaus, was die Herkunft.

Marina: Für die OECD ist Bildung, wenn

Marina: möglichst alle ihr individuelles Potenzial bestmöglich entfalten können.

Marina: Und das ist eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir festhalten sollten.

Marina: Unser Bildungssystem funktioniert noch immer so, dass es nicht um das individuelle

Marina: Potenzial geht, sondern dass eine Messlatte angelegt wird und dann wird gesagt,

Marina: du bist zehn Jahre alt und in der vierten Klasse,

Marina: du musst dies und das können, dann gibt es eine Eins.

Marina: Das heißt, alle, die eine Eins wollen, müssen das Gleiche können.

Marina: Es spielt keine Rolle, ob das eine Kind vielleicht erst mit elf Jahren soweit

Marina: sein würde oder ob ein anderes Kind vielleicht schon mit zehn mehr könnte.

Marina: Es geht nicht darum, jedes Kind individuell zu bilden.

Marina: Und darum fallen bei uns verglichen mit anderen OECD-Ländern so viele durchs Raster.

Marina: Und das ist natürlich nicht nur persönlich schrecklich, das ist offensichtlich

Marina: für die Wirtschaft schlecht.

Marina: Nicht nur sagen mir Leute von den Gewerkschaften, dass bei den Firmen Auszubildende

Marina: ankommen, die nicht in der Lage sind,

Marina: selbst Probleme zu erkennen und Lösungen zu entwickeln, sondern immer auf eine

Marina: Weisung von oben warten, immer einfach nur rumstehen und unbeteiligt gesagt

Marina: bekommen müssen, was sie machen müssen.

Marina: Sondern es ist auch offensichtlich auf einer Ebene, wenn wir nicht das Potenzial

Marina: aus jedem Kind herauskitzeln können, wenn wir das nicht entwickeln,

Marina: dann ist unterm Strich weniger Potenzial für die Wirtschaft da.

Marina: Jetzt haben wir über zwei Ebenen gesprochen. Die persönliche und die wirtschaftliche Ebene.

Marina: Bildung hat aber noch zwei weitere sehr wichtige Funktionen und darüber hinaus noch viele andere.

Marina: Eigentlich ist Bildung allumfassend und sie ist auch nie fertig.

Marina: Stichwort lebenslanges Lernen. Aber wir grenzen das heute ein bisschen ein.

Marina: Auf Schule und auf vier Ebenen, auf denen Schule für die gesamte Gesellschaft unfassbar wichtig ist.

Marina: Und die dritte Ebene ist die kulturelle Ebene.

Marina: Kulturelle Bildung und vor allem auch interkulturelle Kompetenzen sind in der

Marina: vernetzten Welt, in der wir leben, wichtiger denn je.

Marina: Wenn wir uns die Debatten anschauen, die momentan Tag ein, Tag aus besonders

Marina: hitzig geführt werden, dann sind das oft Konflikte über verschiedene Perspektiven

Marina: auf die Welt. Stichwort Kulturkampf.

Marina: Dass wir Kulturkämpfe führen, liegt auch an mangelnder interkultureller Kompetenz.

Marina: Oder wie Robert Habeck es letzte Woche bei Markus Lanz ausdrückte.

O-Töne: Dass wir diese sogenannten Kulturkampfdebatten führen, führt dazu,

O-Töne: dass ja alle was zu sagen haben.

O-Töne: Also alle können sich darüber aufpritzen. Man kann zu seinen Parteifreunden

O-Töne: gehen und sagen, den habe ich es richtig gesagt.

O-Töne: Ich habe nämlich ein super Video, keine Ahnung, was über Wurst oder Lastenverräder

O-Töne: oder Wärmepumpen oder sowas gedreht.

O-Töne: Und sagen, das hast du super gemacht, den richtig. Und dann sagen,

O-Töne: ich habe dagegen gehalten.

O-Töne: Und dann die Zeitungen können darüber schreiben. Die Seite ist voll,

O-Töne: die sozialen Medien haben ihre vielen Likes.

O-Töne: Alle können irgendwelche lustigen Videos drehen, alle können sich bestätigen

O-Töne: und die eigentlichen Probleme können wiederum gar nicht zur Sprache gebracht

O-Töne: werden, weil alle sich nur noch anbrüllen wegen lauter PIF.

Marina: Kulturelle Bildung oder interkulturelle Kompetenz sind so wichtig,

Marina: weil es im Kern darum geht,

Marina: den PIF, um mal Habecks Wort zu zitieren, eben PIF sein zu lassen und andere

Marina: Lebenskonzepte, Religionen, Weltanschauungen und Essgewohnheiten kennenzulernen

Marina: und auch damit leben zu können.

Marina: Du bist anders, du lebst anders, du isst anders.

Marina: Interessant, spannend. Das ist kulturelle Kompetenz, zu verstehen,

Marina: dass andere anders leben, anders denken und das nicht gleich als Bedrohung zu empfinden.

Marina: Wir kommen, das hat Robert Habeck gut beobachtet, gerade so wenig weiter als

Marina: Gesellschaft oder lassen uns sogar verführen, gesellschaftliche Rückschritte

Marina: zu machen, weil wir ständig solche eigentlich unwichtigen Konflikte austragen.

Marina: Medial und politisch und weil

Marina: zu viele Menschen nicht in der Lage sind zu sagen, das ist doch unwichtig.

Marina: Interkulturelle Kompetenz bedeutet, dass ich mit Leuten, die anders denken,

Marina: leben und arbeiten als vielleicht ich, trotzdem gut interagieren kann.

Marina: Auf der Arbeit, im Sportverein oder auch im Urlaub.

Marina: Dafür muss ich aber ein bisschen Wissen, historisches Wissen,

Marina: politische Zusammenhänge verstehen, Geografie, soziolinguistisch.

Marina: Es ist ja gerade deswegen so spannend, weil es so vielseitig ist.

Marina: Interkulturelle Kompetenz ist

Marina: so wichtig, weil sie letzten Endes die Grundvoraussetzung ist für Frieden.

Marina: Denn was wir gerade erleben, ist ein Aufeinanderprallen von Weltbildern.

Marina: Ein Krieg der Kulturen, auch zwischen Alt und Jung.

Marina: Wir haben auch innerhalb unserer lokalen Gesellschaft viele verschiedene Kulturen.

Marina: Und nicht selten mit der Absicht, alles, was dem eigenen Weltbild widerspricht, auszulöschen.

Marina: Wir brauchen Schulen, die jungen Menschen erklären, warum ihre Kultur so ist, wie sie ist.

Marina: Sie denken, wie sie denken. Warum ihre Werte so sind, wie sie sind.

Marina: Warum ihre Gesellschaft so ist, wie sie ist. Und warum das bei anderen Leuten anders ist.

Marina: Und manchmal ist es eben einfacher, so etwas zu fühlen, als es aus einem Lehrbuch zu lernen.

Marina: Ich kann in die Sichtweisen anderer Kulturen oft besser eintauchen,

Marina: wenn ich eine Geschichte lese,

Marina: vielleicht einen Roman aus Japan oder eine Musik höre und dazu tanze,

Marina: wie Amapiano, ein Musikstil, der 2019 auf dem afrikanischen Kontinent seinen

Marina: Durchbruch hatte und dann nach Europa kam.

Marina: Es geht also darum, die eigene kulturelle Identität zu verstehen und die von

Marina: anderen Leuten auch. Geschichten, Musik, Bilder und Reisen oder wenigstens Dokus

Marina: sind deswegen wichtig für die interkulturelle Bildung.

Marina: Und sie sind genauso wichtig wie Rechenübungen und deutsche Grammatik.

Marina: Und das Wichtigste, je mehr ich mich selbst ernst genommen fühle,

Marina: umso mehr kann ich akzeptieren, jemand anderen ernst zu nehmen.

Marina: Wenn ich schon das Gefühl habe, ständig nur gewiesen zu werden in diesen Sitzplatz

Marina: um diese Uhrzeit und jetzt muss ich dieses Fach lernen.

Marina: Wenn ich also das Gefühl habe, fremdgesteuert zu werden, nicht ernst genommen

Marina: zu werden, ausgeliefert zu sein, dann bin ich viel gewaltbereiter gegen andere

Marina: Kulturen und bin viel weniger bereit, andere ernst zu nehmen.

Marina: Das heißt auch, dass ernst genommen werden, das gehört und gesehen werden,

Marina: gehört integral zu kultureller Bildung.

Marina: Und damit kommen wir zur vierten Ebene, Demokratiebildung.

Marina: Okay, Leute, ich gebe mir Mühe, es kurz zu halten. Und das ist nicht leicht,

Marina: weil man ein ganzes Buch darüber schreiben kann.

Marina: Und das habe ich auch gemacht, die neue Schule der Demokratie.

Marina: Aber Schule muss anders funktionieren, wenn wir wollen, dass Kinder und Jugendliche

Marina: demokratische Werte verinnerlichen.

Marina: Denn das heißt auch zu verstehen, dass man selbst mitreden darf,

Marina: soll und wie man das kann.

Marina: Selbstwirksamkeitserwartung, das müssen Menschen erst lernen.

Marina: Wenn ich etwas tue, verändert sich etwas in der Welt. Und das muss natürlich

Marina: in der Schule geschehen.

Marina: Denn das ist der Ort, wo Leute hinkommen aus dem Elternhaus und sich fragen,

Marina: was ist eigentlich die Gesellschaft?

Marina: Was ist meine Rollenerwartung? Also was erwartet die Gesellschaft, wie ich mich verhalte?

Marina: Und wo ist der Ort, an dem sie das lernen? In der Kita und in der Schule.

Marina: Und im Moment läuft es leider sehr oft so, wenn Schülerinnen und Schüler das

Marina: Gefühl haben, dass sie von einer Lehrerin oder einem Lehrer unfair behandelt wurden.

Marina: Also zum Beispiel, sie haben eine schlechte Note bekommen in mündlicher Beteiligung,

Marina: einfach weil sie schüchtern sind oder nie drangenommen werden,

Marina: dann haben sie ganz oft keine Möglichkeit, das anzusprechen.

Marina: Das bedeutet, SchülerInnen erleben oft in ihrem Alltag, dass sie mit ihren Anliegen

Marina: nicht gefragt und nicht gehört werden.

Marina: Dass Regeln nur für sie gelten, nicht für LehrerInnen.

Marina: Die dürfen vielleicht im Unterricht essen, zu spät kommen, andere unterbrechen

Marina: oder auch mal was nicht wissen.

Marina: Und SchülerInnen sehen nicht, unter welchem massiven Druck auch die Lehrkräfte

Marina: in ihrem Alltag stehen, die oft gar nichts anderes können, als das Curriculum durchzuprügeln.

Marina: Und manchmal ist tatsächlich Willkür im Spiel. Das nennt man Adultismus,

Marina: wenn Erwachsene junge Menschen nur deswegen schlechter behandeln,

Marina: weil sie noch nicht erwachsen sind.

Marina: Ihre Stimme zählt weniger, ihre Anliegen sind weniger wichtig.

Marina: Oft ist es reine Bequemlichkeit, oft auch pauschalisierende Vorannahmen,

Marina: die dazu führen, dass viele Erwachsene Kinder und Jugendliche einfach schlechter

Marina: behandeln oder weniger respektieren als andere Erwachsene.

Marina: Im schlimmsten Fall müssen SchülerInnen gehorchen, werden ansonsten bestraft

Marina: und haben nur wenig Einfluss auf die Gestaltung ihres Schulalltags.

Marina: Ihre beste Wahl ist dann, sich anzupassen, brav zu sein, mitzuspielen.

Marina: Dann gibt es gute Noten.

Marina: Allein schon die Grundform von Schule zwingt uns, dort zu sein,

Marina: wenn unsere Körper eigentlich noch schlafen.

Marina: Und sie zwingt uns, an einem bestimmten Platz zu sitzen und einen bestimmten

Marina: Gegenstand zu lernen, nein,

Marina: auswendig zu lernen, denn wir werden ja geprüft darauf, wie gut wir ihn wiedergeben

Marina: können und dann bekommen wir eine Note, von der der Rest unseres Lebens abhängt.

Marina: Also schon die Grundform hat ganz, ganz viel mit Erwartungserfüllung zu tun

Marina: und Zwang, der in einem bestimmten Rahmen sicherlich notwendig ist.

Marina: Aber wo sind die Bereiche, wo wir uns fragen können, was brauche ich eigentlich?

Marina: Was will ich? Wer bin ich? Wer sind die anderen? Was brauchen die?

Marina: Wo widersprechen meine Bedürfnisse ihren Bedürfnissen? Dieser ganze Bereich

Marina: von Persönlichkeitsentwicklung, von Erfahrung, ich trage Verantwortung für mich und andere.

Marina: Wo hat der Raum?

Marina: Und nochmal, viele LehrerInnen und SchulleiterInnen bemühen sich wirklich,

Marina: diese Räume zu schaffen.

Marina: Sie arbeiten aber trotz des Systems, nicht wegen des Systems.

Marina: Das ist der Kern dessen, wie Schule uns dazu bringt, Hilflosigkeit zu erlernen.

Marina: In der Erwartung von Frust hören wir schon auf, eigene Wünsche zu entwickeln.

Marina: Und dann wundern sich Erwachsene, warum sind Jugendliche so passiv?

Marina: Warum interessieren sie sich für nichts?

Marina: Warum sind sie nicht politisch aktiv? Weil wir dafür belohnt wurden, passiv zu sein.

Marina: Wir wurden dafür belohnt, nichts zu tun, was über die gestellten Erwartungen hinausgeht.

Marina: So habe ich Schule erlebt und ich weiß, dass viele Kinder das heute immer noch so erleben.

Marina: Und selbst an den Schulen, die sich Mühe geben und die viel machen,

Marina: ist dieses System der Erwartung, dass Dinge benotet werden, dass das Curriculum

Marina: komplett gelernt wird, dass Schule zu betreuen hat.

Marina: Alle diese Dinge sorgen dafür, dass ein Ernstnehmen der Bedürfnisse der Kinder

Marina: häufig zurücktreten muss.

Marina: Aus Sicht der Psychologie und Bildungsforschung ist das fatal.

Marina: Ein Kind oder ein Jugendlicher, das sich anpasst und genau so funktioniert,

Marina: dass es in der Schule keinen Ärger gibt.

Marina: Wird nicht gelernt haben, was es bedeutet, für sich selbst die eigenen Interessen

Marina: und Werte auch einzustehen.

Marina: Sie lernen nicht, ihre Umgebung zu gestalten. Sie fühlen sich als Besucher,

Marina: als Konsument und manchmal als Opfer.

Marina: Und das ist, wie sie sich in der gesamten Gesellschaft dann erleben und positionieren.

Marina: Wenn wir wollen, dass Jugendliche und Kinder Selbstwirksamkeit lernen und damit

Marina: einhergehend demokratische Kompetenz,

Marina: dann müssen wir dafür sorgen, dass in ihren Schulen auch ihre Sichtweise zählt

Marina: und sie die vergleichen können mit ihrer MitschülerInnen, dass ihre Bedürfnisse

Marina: eben nicht egal sind, dass sie mitreden dürfen und nicht immer über sie entschieden wird.

Marina: Das Problem ist dabei, dass viele LehrerInnen es schnell mit der Angst zu tun bekommen.

Marina: Wenn die SchülerInnen sehr viel mitentscheiden, dann haben sie selbst weniger Macht.

Marina: Und ich glaube nicht, dass sie das denken, weil sie böse sind oder machtsüchtig,

Marina: aber sie haben weniger Kontrolle.

Marina: Und dann müsste der Unterricht ganz anders organisiert werden.

Marina: Und das kostet Zeit und Geduld. und Mental Load.

Marina: Und daran mangelt es in Schule immer.

Marina: Und ja, es passt dann auch nicht wirklich oft ins sehr enge Curriculum.

Marina: Der Lehrplan, der erfüllt werden muss.

Marina: Ich sehe total oft, dass die Lehrpersonen da echt einen Zielkonflikt haben.

Marina: Aber wenn wir wollen, und ich will das, dass Bildung und Schule sich verändert,

Marina: weil es besser für die Psyche der Kinder und Jugendlichen ist,

Marina: weil es besser für die Wirtschaft und Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft ist,

Marina: weil wir mehr denn je interkulturelle Kompetenz brauchen und junge Demokratinnen

Marina: und Demokraten, die diese Demokratie leben,

Marina: dann muss sich einiges ändern.

Marina: Ich habe es am Anfang schon gesagt. Wir wissen seit Jahrzehnten,

Marina: was wir ändern müssen, um das Bildungssystem besser zu machen.

Marina: Ein paar Sachen habe ich schon angesprochen.

Marina: Weitere wären keine Trennung der Kinder nach der Grundschule.

Marina: Also lasst uns das dreigliedrige Schulsystem ein für alle Mal abschaffen.

Marina: Ja, das geht. Das ist möglich.

Marina: Viel weniger auswendig lernen für Prüfungen. Was bringt es uns denn,

Marina: wenn ein Kind irgendeinen Stoff reinstopft, zur Prüfung auskotzt und dann nichts mehr darüber weiß?

Marina: Seien wir ehrlich, Prüfungen messen nur, wie gut mein Kind sich schriftlich

Marina: um 9 Uhr morgens an diesem konkreten Tag unter Druck äußern kann und wie viel

Marina: es auswendig gelernt hat.

Marina: Aber ist das wirklich die Art von Kompetenz, die wir brauchen in Zeiten von

Marina: Computer? Viel sinnvoller als Noten ist echtes Feedback.

Marina: Und Feedback, das hat die Wissenschaft herausgefunden, ist am effektivsten, wenn es positiv ist.

Marina: Und das ist sehr gegen unsere deutsche Kultur, aber es stimmt.

Marina: Negatives Feedback hat Studien zufolge keinen statistischen Effekt auf die Performance einer Person.

Marina: Positives Feedback sehr wohl, also nicht defizitär, sondern was kannst du?

Marina: Was sind deine Stärken? Woran kannst du arbeiten?

Marina: Damit will ich nicht sagen, dass man Fehler nicht korrigieren sollte.

Marina: Fehler sind wichtig und man kann aus ihnen lernen. Aber es zeigt doch sehr gut,

Marina: Fehler zu bestrafen ist absolut kontraproduktiv. Es hat keine positiven Auswirkungen

Marina: auf die Leistung eines Menschen.

Marina: Der Unterricht, besonders für Jugendliche, müsste viel später anfangen.

Marina: Studie um Studie um Studie zeigt, dass Jugendliche nur aufgrund der Schule an

Marina: krassem und komplett unnötigem Schlafmangel leiden.

Marina: Und Schlafmangel ist nicht gut für das Gehirn. Man lernt schlechter und für

Marina: die Psyche ist es auch nicht gut.

Marina: Und Kinder sind nun mal in ihrem Jugendalter natürliche Nachteulen. Nachtäulen.

Marina: Damit hat das Smartphone wenig zu tun. Das war schon immer so.

Marina: Und hier steht einfach die Betreuungsaufgabe der Schule radikal im Widerspruch

Marina: zu ihrem Bildungsauftrag.

Marina: Das Curriculum muss komplett entzerrt werden. Ja, ich weiß, das Gegenteil passiert.

Marina: Immer mehr sollen Kinder in der Schule lernen.

Marina: Psychoedukation, Finanzen, wie man mit KI umgeht und so weiter.

Marina: Das müsste ein eigenes Schulfach werden, ist eine so häufige Forderung.

Marina: Und LehrerInnen zucken zusammen, weil sie denken, und wie sollen wir das auch noch reinquetschen?

Marina: Es ist viel zu viel und es ist viel zu wenig individuell.

Marina: Wenn wir es ernst meinen mit der individuellen Förderung, dann muss im Lehrplan

Marina: viel mehr Freiheit für eigene Neigungen und Interessen sein.

Marina: Es ist eine Binse, aber ich trotzdem, Schulen brauchen viel mehr Personal.

Marina: Je jünger die Kids, desto mehr. Je älter sie werden, desto selbstständiger können

Marina: sie sich auch Stoff erarbeiten und auch einander dabei helfen,

Marina: wenn man ihnen vorher die nötigen

Marina: Werkzeuge gibt, wie zum Beispiel Selbstwirksamkeit und Lehrfähigkeit.

Marina: Und natürlich, wir haben Lehrermangel.

Marina: Aber mein Gott, neben Lehrpersonal braucht es an In Schulen eben auch Psychologinnen,

Marina: SozialarbeiterInnen, TheaterpädagogInnen, Leute für die Verwaltung,

Marina: für die IT, um die ganzen organisatorischen Aufgaben stemmen zu können.

Marina: Im Moment übernehmen LehrerInnen einfach alle Aufgaben, die an Schule anfallen

Marina: und das kann es ja irgendwie nicht sein.

Marina: Lernende sollten viel mehr zu Lehrenden werden.

Marina: Und dazu müsste man die starren Klassenstrukturen auflösen, was eh sinnvoll ist.

Marina: Nicht jedes Kind hat zur gleichen Zeit die gleichen Kapazitäten für den gleichen

Marina: Stoff. Manchmal ist es besser, ein Jahr später damit einzusteigen.

Marina: Ich meine, das kennen wir doch von uns selbst. Da steht seit Jahren dieses eine Buch im Regal.

Marina: Und plötzlich kommt der Moment, wo genau das die richtige Zeit für dieses Buch ist.

Marina: Freude und Kreativität sollten in der Schule kein Nice-to-have sein,

Marina: wenn alle Matheaufgaben erledigt sind.

Marina: Wenn Schule keinen Spaß macht, dann sollten die Alarmglocken läuten,

Marina: weil dann eben auch keine intrinsische Motivation für Lernen da ist.

Marina: Und, und, und. Das ist jetzt nur das, was mir mit fünf Minuten Nachdenken spontan eingefallen ist.

Marina: PädagogInnen, PsychologInnen, Studien, Berichter der OECD, vergleichende Bildungsforschung.

Marina: Seit Jahrzehnten sind diese Dinge bekannt. Ich erzähle gerade wirklich nichts Neues.

Marina: Es ist wissenschaftlich untermauert. Es ist in einigen Ländern auch umgesetzt.

Marina: Es ist also auch möglich.

Marina: Die Frage ist nur, was hält uns eigentlich davon ab?

Marina: Was hält uns davon ab? Tja, ich nehme an, dass Bildung Ländersache ist,

Marina: hilft nicht gerade dabei, einen krassen bundesweiten Diskurs über das Thema anzustoßen.

Marina: Wir schauen hauptsächlich auf die Bundesregierung im allgemeinen Diskurs, auch medial.

Marina: 16 kleinere Diskurse erreichen niemals diese Viralität. Und wir haben auch keine

Marina: großen Medien auf Landesebene, zumindest in vielen Ländern.

Marina: Dabei hat Bildung in ganz Deutschland die gleichen Probleme.

Marina: Und was dann auch nicht hilfreich ist, Diskurs zur Bildung gibt es nur zum planbaren Pisa-Schock.

Marina: Und selbst dann, so richtig ins Detail, gehen wir ungern im medialen Diskurs.

Marina: Also, dass wir mal fragen, was können wir denn tun?

Marina: Dazu kommt, dass Politik immer nur für die nächsten vier, auf Landesebene auch

Marina: manchmal fünf Jahre, plant und mitdenkt.

Marina: Um Veränderungen im Bildungssystem anzustoßen, bräuchte es aber viel langfristigere Pläne und Strategien.

Marina: Dasselbe sehen wir in der Klimadebatte.

Marina: Nachhaltigkeit und Generationengerechtigkeit lohnen sich nicht für die Regierenden,

Marina: da die Früchte ja erst kommende Regierungen ernten dürfen. Und da sind wir an

Marina: einem Problem der repräsentativen Demokratie, wie sie ist.

Marina: Wenn eine Investition, die sich in 20 Jahren erst auszahlt, sich nicht lohnt,

Marina: weil meine Legislaturperiode ja schon in vier Jahren vorbei ist und ich darin nur Schulden mache,

Marina: dann werde ich ja niemals irgendwelche Zukunftsprojekte oder Infrastrukturprojekte

Marina: oder irgendwas anstoßen.

Marina: Und da hilft eigentlich nur eine Ergänzung durch direkte Demokratie,

Marina: denn das Wahlvolk wird ja nicht alle vier Jahre neu gewählt.

Marina: Ich glaube auch, dass Adultismus eine Rolle spielt. Es sind ja nur Kinder.

Marina: Deren Anliegen sind vielen Erwachsenen fern. Aber auch Sexismus spielt damit rein.

Marina: Kultusministerinnen sind oft weiblich und ihren Bereich empfinden Finanz-,

Marina: Innen- und Verkehrspolitiker oft als Gedöns.

Marina: Es ist ein weiches Thema, ein Frauenthema.

Marina: Es ist halt ganz nett, gute Bildung zu haben, aber das beantwortet ja nicht

Marina: die Probleme der ganz wichtigen Männer in den Anzügen, die auf Kurven starren.

Marina: Das tut es natürlich schon wahnsinnig grundlegend.

Marina: Aber nicht zuletzt ist es auch Klassismus.

Marina: Bildungsverlierer kommen bei uns ja oft aus finanziell schwächeren Milieus.

Marina: Und da lässt sich leicht sagen, geht mich und meine gutbürgerliche Familie doch nichts an.

Marina: Sollen sie doch auf Privatschulen gehen oder Nachhilfe bezahlen?

Marina: Naja, man könnte auch Rassismus anführen. Denn warum haben wir eigentlich nicht

Marina: den Anspruch, Kinder aus migrantischen Milieus genauso zu fördern?

Marina: Warum zeigen wir mit dem Finger auf die, die nicht gut Deutsch sprechen,

Marina: anstatt auf die zu zeigen, die es ihnen eigentlich beibringen sollten.

Marina: Andere Länder schaffen das doch auch, siehe Bildung auf einen Blick von der OECD.

Marina: Und dann wird die ganze Diskussion auch noch gehindert durch Frust,

Marina: weil wir alle kollektiv wenig Selbstwirksamkeit haben, was die Reform des Bildungssystems betrifft.

Marina: Das Bildungssystem ist ein ätzend bürokratischer Apparat, in dem jedes Element

Marina: behauptet, keine wirkliche Gestaltungsmacht zu haben.

Marina: Im Wesentlichen wird immer auf andere Stellen verwiesen, wenn es um Änderungskompetenz geht.

Marina: Außerdem glaube ich, das Bildungssystem lässt sich deswegen schwer verändern,

Marina: weil alle es durchlaufen haben.

Marina: Jeder Mensch, Lehrer, Eltern, Verwaltungsfachkräfte,

Marina: hat eine erlebte Vorstellung, wie Schule zu sein hat.

Marina: Und meine Erfahrung ist tatsächlich, dass Eltern oft die konservativsten Elemente im System sind.

Marina: Wenn eine Schule es wagt, Noten abzuschaffen und stattdessen ausführliches Feedback

Marina: zu geben, weil das pädagogisch sinnvoll ist,

Marina: sind Eltern die Ersten, die sich empören, weil sie ja dann nicht wissen,

Marina: ob ihr Kind eine 3 oder eine 4 hat.

Marina: Und als Psychologin denke ich, es kann auch Trauma dahinterstehen.

Marina: Die Schullaufbahn beraubt uns teilweise, wenn wir Pech haben,

Marina: systematisch unserer Selbstwirksamkeit und Selbstbestimmung.

Marina: Wir sind von der Willkür von Lehrern abhängig, mit denen man teilweise einfach sehr Pech hat.

Marina: Und dann fragen sich Erwachsene oft unbewusst, wenn es besser ginge,

Marina: habe ich dann völlig umsonst gelitten?

Marina: Nein, das kann nicht sein. Es muss notwendig sein. Dieses Leid oder diese Willkür

Marina: müssen ja für irgendwas gut sein.

Marina: Wir sind ja hier bei Wind und Wurzeln. Und das heißt, keine Sorge,

Marina: wir lassen euch mit diesen Problemen nicht allein. Wir bieten auch Lösungen.

Marina: So wie es ist, muss es nicht sein. Es geht auch anders. Aber dafür muss sich

Marina: ein bisschen was ändern.

Marina: Erstens. Wir brauchen Aufklärung und Wissen. Kaun zu glauben,

Marina: aber es war einmal in, Filme und Dokus über bessere Bildung zu drehen.

Marina: Der Journalist und Filmemacher Reinhard Kahl oder der preisgekrönte Film Alphabet.

Marina: Wo sind die Bildungsjournalistinnen, die diese Arbeit fortsetzen?

Marina: Zweitens, Politik muss den Faktor Nachhaltigkeit und kommende Generationen systematisch

Marina: machen, das heißt institutionell einbauen.

Marina: Zum Beispiel über BürgerInnenräte, die unabhängig von der nächsten Wahl verbindliche,

Marina: mandatierte Empfehlungen geben.

Marina: Ein Bürgerrat Bildung könnte sich damit befassen, wie wir es in Deutschland

Marina: schaffen, Schulen besser zu machen. Auch auf Landesebene.

Marina: Wenn wir denn die Bildungspolitik weiterhin so aufteilen wie bisher,

Marina: wir könnten das auch anders machen.

Marina: Und drittens, auf Bundesebene den groben Rahmen vorgeben.

Marina: Zum Beispiel bestimmte Standards. Aber dann auf kommunaler Ebene die Umsetzung gestalten.

Marina: Dafür müssten die Länder Kompetenzen abgeben. Aber es könnte ein Schritt zu

Marina: mehr Selbstbestimmung der Schulen selbst sein.

Marina: Klingt verrückt, aber wieso eigentlich? Bildung ist etwas, das vor Ort stattfindet.

Marina: Und ein entscheidender Vorteil, die Kommunen denken langfristig.

Marina: Ein Bürgermeister oder eine Bürgermeisterin ist oft Jahrzehnte im Amt.

Marina: Sie denkt viel vorausschauender und über die nächste Wahl hinaus.

Marina: Viertens. Die Kinder und Jugendlichen haben literally keine Stimme.

Marina: Sie dürfen immer noch erst ab 18 Jahren wählen. Hier und da auch ab 16,

Marina: aber das bleibt die Ausnahme.

Marina: Daher sind ihre Bedürfnisse für die großen Parteien weniger wichtig als die

Marina: Bedürfnisse der zahlenmäßig relevanteren Gruppe, der baldigen und jetzigen RentnerInnen.

Marina: Zeit, das Wahlalter zu senken.

Marina: Fünftens, auch in den Schulen selbst muss die Mitbestimmung der Kinder und Jugendlichen

Marina: deutlich ausgebaut werden.

Marina: Das sollte nicht auf freiwilliger Basis passieren, sondern entsprechend der

Marina: UN-Kinderrechtskonvention Pflicht, also Gesetz in allen 16 Bundesländern sein.

Marina: Und dabei hat die Mitgestaltung zwei Funktionen. Erstens, die Bedürfnisse der

Marina: Kinder sollen repräsentiert werden.

Marina: Und das tut eine SchülerInnenvertretung oder ein Schülerausschuss,

Marina: wie auch immer das im Bundesland heißt, das tun die. Aber das ist nur jeder Dreißigste.

Marina: Das heißt, die zweite Funktion, nämlich, dass Kinder über diese Beteiligung

Marina: Selbstwirksamkeit erlangen, wird gar nicht bei allen erfüllt.

Marina: Und deshalb sollte Beteiligung an

Marina: wichtigen Themen in der Schule bei allen Schülerinnen und Schülern liegen.

Marina: Fassen wir nochmal zusammen. Ja, unser Bildungssystem braucht dringend ein Update.

Marina: Seit Jahrzehnten wissen wir, was zu tun ist. Und es wird Zeit, dass sich etwas bewegt.

Marina: Nur so können wir als Gesellschaft die Herausforderungen der Zukunft stemmen.

Marina: Wirtschaftlich, kulturell, politisch und auf der individuellen Ebene.

Marina: Wir brauchen dafür wieder mehr Diskurs auf Bundesebene. Diskurs,

Marina: der viral geht, der alle einbezieht.

Marina: RentnerInnen, KrankenpflegerInnen, I don't care, es geht euch alle an.

Marina: Am besten geht das, wenn wir nicht immer nur die Probleme anstern,

Marina: sondern zeigen, wie es anders geht.

Marina: So wie Reinhard Kahl in seinen Filmen, die ich übrigens als Psychologiestudentin so gern geschaut habe.

Marina: Wir brauchen aber auch eine Politik, die Nachhaltigkeit und kommende Generationen

Marina: systematisch mitdenken muss.

Marina: Die Politik darf ja keine Wahl haben und je nach Lust und Laune mal nachhaltig

Marina: und dann wieder nicht so nachhaltig sein.

Marina: Eine Idee könnten Bürgerräte sein. Eine andere wäre, mehr Kompetenz in die Hände der Kommunen zu legen.

Marina: So oder so, wir müssen mehr Geld für die Bildung in die Hand nehmen. Das sagt auch die OECD.

Marina: Wirtschaftlich gesehen lohnt es sich so sehr, dass es ein Verbrechen ist, es nicht zu tun.

Marina: Denn jeder Euro, den wir in die Bildung investieren, vermehrt sich in nur zehn

Marina: Jahren. Das ist eines der besten Investments, die es überhaupt gibt.

Marina: Das sollte sich dringend mal einer von den Finanzbros auf TikTok ansehen.

Marina: Und wir müssen dringend diejenigen beteiligen, über die wir die ganze Zeit sprechen.

Marina: Kinder und Jugendliche, sie sind die ExpertInnen für dieses Thema.

Marina: Sie stecken drin und zwar heute und nicht vor 30 Jahren.

Marina: Wir müssen sie in den Schulen selbst beteiligen und durch eine Absenkung des Wahlalters.

Marina: Was ihr selbst tun könnt, wenn ihr Kinder habt oder mit Kindern und Jugendlichen

Marina: zu tun habt und arbeitet, dann könnt ihr sie bestärken.

Marina: Nehmt sie ernst und unterstützt sie, wann immer sie von Schulproblemen erzählen.

Marina: Und wenn ihr Eltern, LehrerInnen oder Schulleitung seid, schaut euch doch mal Aula an.

Marina: Das ist ein digitales Beteiligungskonzept, das SchülerInnen der weiterführenden

Marina: Schulen ermöglicht, ihre Ideen und Wünsche einzubringen.

Marina: Aula ist gemeinnützig und hilft ganz konkret dabei, Demokratie zu lernen.

Marina: Ihr könnt euch gern mein Buch holen, wenn ihr tiefer in das Thema einsteigen

Marina: wollt. Die neue Schule der Demokratie ist letztes Jahr entschieden.

Marina: Und wie immer bei dicken Brettern in der Politik, und das geht jetzt alle an,

Marina: egal wer ihr seid, schreibt Briefe, mobilisiert auf die Straße,

Marina: werdet laut, wo immer ihr könnt.

Marina: Denn PolitikerInnen sehen sich genötigt, mit den Themen umzugehen,

Marina: die gerade aktuell für Unmut sorgen.

Marina: Und wenn aktuell gerade vor Landestagswahlen ganz, ganz vermehrt Briefe kommen,

Marina: die mehr Geld für Schulen fordern, mehr Aufmerksamkeit, bestimmte Veränderungen,

Marina: dann muss das politisch behandelt werden.

Marina: Und Ziel ist, nicht nur an die BildungspolitikerInnen zu schreiben,

Marina: sondern auch an die Haushaltsausschüsse.

Marina: Also recherchiert, wer in eurem Land Haushaltsausschuss ist,

Marina: wer verantwortlich dafür ist, Gelder zu verteilen, weil diese Leute müssen Bildung

Marina: prioritärer behandeln.

Marina: So, das war die vierte Folge von Wind und Wurzeln.

Marina: Danke fürs Zuhören, danke fürs Mit-mir-Gehen. Es ist mir ein ehrliches Herzensthema gewesen.

Marina: Wir fangen jetzt auch direkt mit der Arbeit an der fünften Folge an und wenn

Marina: ihr die mitfinanzieren wollt, dann werft doch einen Blick in eure Shownotes.

Marina: Wir freuen uns über jeden Beitrag, egal ob ihr ein Abo bei Steady abschließt

Marina: oder direkt auf das Konto überweist.

Marina: Ihr helft uns damit, der Aufmerksamkeitsökonomie zu entkommen und nicht immer

Marina: nur die negativen, tagesaktuellen reißerischen Aufreger zu machen,

Marina: sondern tiefer in einzelne Themen einzusteigen und trotzdem sicher zu sein,

Marina: dass unser Rechercheteam bezahlt wird.

Marina: Und auch wenn ihr kein Abo bei Steady habt, zu jeder Folge veröffentlichen wir

Marina: dort das automatisch erstellte Transkript als Newsletter und den könnt ihr kostenlos abonnieren.

Marina: Für alle, die gern beim Hören lesen oder lieber nur lesen oder am Ende nochmal

Marina: etwas nachschlagen wollen.

Marina: Und wenn ihr Feedback habt oder euch ein Thema wünscht, dann schreibt gern an katrin.haus1.fm.

Marina: Die gibt es an mich weiter und natürlich könnt ihr auch Kommentare bei Steady,

Marina: Podigy oder Spotify hinterlassen. Wir lesen alles.

Marina: Und wenn ihr dem Podcast eine gute Bewertung gebt, wo immer ihr könnt,

Marina: dann helft ihr uns auch dabei, noch mehr Menschen zu erreichen.

Marina: Wind und Wurzeln ist eine Produktion von Haus 1, Redaktion Marina Weisband und Katrin Rönecke.

Marina: Schnitt und Musik Oliver Kraus. Am Mikrofon war Marina. Macht's gut, ihr Lieben.

Neuer Kommentar

Dein Name oder Pseudonym (wird öffentlich angezeigt)
Mindestens 10 Zeichen
Durch das Abschicken des Formulars stimmst du zu, dass der Wert unter "Name oder Pseudonym" gespeichert wird und öffentlich angezeigt werden kann. Wir speichern keine IP-Adressen oder andere personenbezogene Daten. Die Nutzung deines echten Namens ist freiwillig.